Herzogenberg und Heiden
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IHG-Präsident Prof. Dr. Konrad Klek hat einen neuen Beitrag geschrieben:
 

Heinrich von Herzogenberg im

«Biograpfisch-Bibliographischen Kirchenlexikon online»

 

Band XXX (2009) Spalten 584-592 Autor: Konrad Klek

HERZOGENBERG, Heinrich von, * 10.Juni 1843 in Graz, † 9.Okt.1900 in Wiesbaden. -

H. gehört zu den Komponisten im Freundeskreis um Johannes Brahms, die anders als zu ihren Lebzeiten heute kaum bekannt sind, da sie durch die auf Brahms fixierte Musikgeschichtsschreibung ins Hintertreffen geraten sind. Besonderes Interesse verdient H. durch seine wandlungsreiche Lebensgeschichte vom österreichischen Katholiken zum führenden Bach-Interpreten im evangelischen Leipzig, dann zum verbeamteten Professor im protestantischen Preußen, in seiner letzten Lebensphase schließlich mit dem kompositorischen Schwerpunkt evangelische Kirchenmusik.

H. entstammte einer französischen Adelsfamilie mit Namen Picot de Peccaduc, die nach der Flucht infolge der Revolution der Habsburger-Monarchie überwiegend in militärischen Ämtern diente und seit 1811 den eingedeutschten Namen von Herzogenberg führte. H. durchlief Schulstationen an verschiedenen Orten, u.a. zwei Jahre im Feldkircher Jesuitenkolleg, um sich 1862 der Familientradition gemäß in Wien zum Jurastudium einzuschreiben. Gleichzeitig begann er ein Musikstudium am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in der Kompositionsklasse von Felix Otto Dessoff. Nach zwei Semestern brach er das Jura-Studium ab, absolvierte aber das Musikstudium mit Auszeichnung. Von Herbst 1865 bis Sommer 1866 unternahm er eine Studienreise nach Dresden, Leipzig und Berlin mit Kontakten u.a. zu Moritz Hauptmann (Thomaskantor), Friedrich Kiel (Berliner Kompositionsprofessor) und Robert Radecke (Organist und Kirchenmusikdozent). Nach Wien zurückgekehrt, unterzog er sich noch Studien im strengen Satz bei Gustav Nottebohm, ehe er sich in seiner Heimatstadt Graz als freischaffender Komponist niederließ. 1868 heiratete er Elisabeth von Stockhausen, (evangelische) Tochter des hannoverschen Gesandten am Wiener Hof, Bodo von Stockhausen, eine musikalisch hochbegabte Frau, die Klavierschülerin von Julius Epstein und kurzzeitig auch von Johannes Brahms gewesen war. -

In Graz brachte sich das Ehepaar der von H. in den örtlichen Musikinstitutionen (Gesangvereine, Konzertveranstalter) ein. Der junge Komponist lieferte darauf bezogene, auch größere Werke, die riesig besetzte dramatische Kantate Columbus op.11, das Deutsche Liederspiel op. 14 für Sopran-und Tenorsolo, gemischten Chor und Klavier vierhändig, und als Programmmusik durchaus im Gestus der neudeutschen Schule Liszts und Wagners die Sinfonie Odysseus op. 16. -

Nach vier Jahren erfolgreichen Wirkens in seiner Heimatstadt übersiedelte H. 1872 nach Leipzig, die deutsche Musikmetropole, um sich hier neu zu orientieren. Die enge Verbindung mit dem Dirigenten Alfred Volkland, dem Komponisten Franz von Holstein und dem als Bach-Biograph berühmten Philologen und Musikwissenschaftler Philipp Spitta bestimmte den weiteren Weg und führte bald zu einer künstlerischen "Häutung", wie er es selbst bezeichnete. Mit den genannten Freunden gründete er 1874 den Bach-Verein zu Leipzig, dessen musikalische Leitung er bald selbst übernahm und fast zehn Jahre lang neben seiner umfangreichen Kompositionstätigkeit mit großem Engagement versah. Zweck dieses Chores war, die noch kaum aufgeführten Kantaten J.S. Bachs in der Bach-Stadt Leipzig durch Aufführungen in der Thomaskirche bekannt zu machen. Diese Arbeit vollzog sich in ständigem fachlichen Austausch mit dem bereits 1875 an die Berliner Musikhochschule gewechselten Bach-Experten Philipp Spitta, woraus eine intensive Freundschaft erwuchs. -

In Leipzig pflegte das Ehepaar H. rege gesellschaftliche Kontakte, war Sammelpunkt der sich dort bildenden Brahms-Gemeinde und nahm - selber kinderlos - die Engländerin Ethel Smyth als Kompositionsschülerin und gleichsam Haustochter auf. Mit Smyth und seiner Gattin als Privatschülerinnen zwang Herzogenberg sich selbst zu weiteren Kompositionsstudien im strengen, an klassischen Vorbildern orientierten Satz etwa des Choralvorspiels barocker Prägung. -

Kompositorische Frucht der Leipziger Jahre sind zahlreiche Kammermusikwerke im Anschluß an die vom Idol J. Brahms gesetzten Leitlinien, mehrere Klavierlied-Sammlungen zu poetisch hochstehenden Klassiker-Texten, überwiegend als Studien gehaltene Klavierstücke und schließlich die Symphonie op. 50 in c-Moll, welche eng an das Vorbild der 1. Brahms-Sinfonie anschließt. Im Bereich der Chormusik publizierte H. zwei Sammlungen von schlicht gestalteten Chorliedern, zunächst 12 Deutsche Geistliche Volkslieder, dann Zwölf deutsche Volkslieder aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert. Angeregt wurde diese historische Rückwendung hinsichtlich der Sujets durch das Erscheinen von F.M. Böhmes Altdeutschem Liederschatz 1877. Die vierstimmige a cappella-Motette Psalm 116 "Das ist mir lieb" op. 34, dem Bachverein gewidmet, zeigt als erstes Werk Spuren der intensiven Beschäftigung mit dem Werk J.S. Bachs. -

Auf Betreiben des Violinvirtuosen Joseph Joachim, Rektor der Berliner Musikhochschule, und des Freundes Philipp Spitta ging H. 1885 nach Berlin zunächst als Vertreter, dann als Nachfolger Friedrich Kiels. Er war Leiter der Kompositionsabteilung an der Kgl. Hochschule für Musik, außerdem Vorsteher einer Meisterschule für Komposition und Senator in der Akademie der Künste. Ein Arthritisanfall erzwang ab 1887 die Niederlegung der Ämter zugunsten von Heilmaßnahmen (u.a. Resektion einer Kniescheibe) an verschiedenen Orten. Bei seiner Rückkehr im Herbst 1889 konnte H. nur teilweise in seine früheren Stellungen eintreten, wurde aber im Jan. 1890 zum ordentlichen Senatsmitglied der Akademie der Künste gewählt. Eine Verschlimmerung des langjährigen Herzleidens seiner Frau ließ ihn im Herbst 1891 erneut seine Ämter preisgeben. Das Ehepaar nahm Wohnung in San Remo (Italien), wo Elisabeth von H. am 7. Januar 1892 im Alter von 44 Jahren verstarb. Seit Herbst 1892 wieder in Berlin, blieb H. zunächst nur das Senatorenamt. Neben anderen musikwissenschaftlichen Aufgaben übernahm er die Projektleitung der von der Akademie veranlassten Urtext-Ausgaben classischer Meisterwerke. Nach dem Tod seines vormaligen Vertreters (und Nachfolgers) Woldemar Bargiel konnte er 1897 alle früheren Aufgaben wieder übernehmen. Im November 1898 setzte ein weiterer Arthritisanfall allen Tätigkeiten ein Ende. H. nahm Bäderkuren u.a. in Wiesbaden, wo er dann auch Wohnung nahm und am 9. Oktober 1900 verstarb. Er ist bestattet auf dem Wiesbadener Nordfriedhof, wo das Grab mit Grabmal Adolf von Hildebrands an einem der Hauptwege erhalten ist. -

Trotz des Verlustes weiterer wichtiger Bezugspersonen - Philipp Spitta starb 1894, Clara Schumann 1896, Johannes Brahms 1897 - waren die letzten Lebensjahre reiche Schaffensjahre. Große Bedeutung gewannen die Sommeraufenthalte in dem noch mit der Gattin im Herbst 1891 geplanten, dann im Sommer 1892 fertig gestellten Haus Abendroth in Heiden/Schweiz, wo H. fortan die Sommermonate verbrachte, komponierte und Freunde zum geselligen Austausch einlud. Aus der dort 1893 geknüpften Freundschaft mit dem Straßburger Theologen Friedrich Spitta, jüngerer Bruder des Bach-Biographen, ergab sich das kompositorisch sehr ergiebige Engagement für die evangelische Kirchenmusik. Unterstützung erfuhr H. in diesen Jahren von Helene Hauptmann (Tochter von Moritz Hauptmann), die für den Witwer den Haushalt führte und dann auch den persönlichen Nachlaß übernahm. -

Kurz vor seiner ersten Erkrankung im Jahre 1887 hatte H. als op. 60 sein chorsymphonisches Meisterstück vorgelegt, eine groß besetzte Vertonung von Versen des 94. Psalms. "Herr Gott, des die Rache ist, erscheine" für vier Soli, zwei Chöre und großes Symphonieorchester zeigt die Einschmelzung von Charakteristika des Bach`schen, Händel`schen und Mendelssohn`schen Chorstils in eine spezifische Tonsprache, die in strenger Bindung an traditionelle kontrapunktische Kompositionstechniken zu einem eigenen, überzeugenden Ausdruck findet. Die Bedenken des Freundes J. Brahms wegen des Sujets "Rachepsalm" sind bei Kenntnis des Werkes haltlos. In im Wortsinn großartigen Klängen und Formen geht es um die Durchsetzung von Gottes Gerechtigkeit und Königsherrschaft in der Welt (Schlußchor "Der Herr ist König" Psalm 93,1). -

 Nach seiner Rekonvaleszens im Jahre 1889 komponierte H. weiter in den bewährten Gattungen von Klaviermusik, Lied, Kammermusik und Symphonie (2. Symphonie op. 70), widmete auch dem Freund J. Joachim ein Violinkonzert (unveröffentlicht). Die Gelegenheit für eine weitere Vertonung biblischer Worte bot der Auftrag, im Jahre 1891 die Festmusik zur Kaisergeburtstagsfeier (27.1.) der Akademie der Künste zu liefern. H. stellte Texte aus den Jahwe-Königspsalmen zum Königs-Psalm op. 71 für Chor und Orchester zusammen, wo der Festkasus des "Jubelns" sinnreich verbunden wird mit dem als Spiegel dem Regenten vorgehaltenen Kriterium der Gerechtigkeit. Die positive Erfahrung in der Arbeit an diesem Werk motivierte H., sogleich ein weiteres geistliches Werk anzuschließen. In kürzester Zeit entstand das chorsymphonische Requiem op.72, im Anschluß an das von Luigi Cherubini gesetzte Leitbild ebenfalls in c-Moll und ohne Solisten in verhaltenem, introvertiertem Tonfall. Dieses Werk wurde im Februar 1891 unter Leitung des Komponisten bei einem Benefizkonzert in der Leipziger Thomaskirche uraufgeführt und war Anlaß für eine literarische Reflexion des Freundes Philipp Spitta über die Requiem-Vertonungen der Zeit ("Musikalische Seelenmessen"). -

 Den nächsten Markstein bildet das als op. 80 publizierte Werk mit dem Titel Todtenfeier. Nach dem Tod seiner Frau konzipierte Herzogenberg über Weihnachten 1892 in sieben Tagen diese "Kantate auf das Todtenfest" für Sopran- und Baritonsolo, Chor und Orchester, um nach weiteren 10 Tagen mit Ausschreiben der Partitur am ersten Todestag das Trauerjahr abzuschließen. Auch inhaltlich spiegelt das nach dem Vorbild der großen zweiteiligen Bach-Kantaten entworfene Werk auf selbst zusammen gestellte Bibelworte und Choralstrophen einen gelingenden Trauerprozeß in der Ausrichtung auf das Christuszeugnis "Ich bin die Auferstehung und das Leben" (Satz 4). Die Uraufführung im März 1893 durch die von Herzogenberg als Chorleiter übernommene Musikalische Gesellschaft bewegte die teilnehmenden Freunde zutiefst. -

Die nächste Opuszahl 81 mit dem Titel Liturgische Gesänge bestätigt die qualitative Wendung, die H.s Schaffen nun genommen hat. Der ihm zuvor nur flüchtig bekannte Friedrich Spitta, in Straßburg als Professor für Neues Testament und Praktische Theologie, aber auch als Leiter des Akademischen Kirchenchores und Prediger bei den von ihm gegründeten Akademischen Gottesdiensten tätig, hatte 1893 ein paar Tage Sommerurlaub bei H. im Heidener Sommerhaus verbracht und ihn dabei gewonnen für seine Idee, Gottesdienste mit Chormotetten aus der Hand eines Komponisten durchzugestalten auf Texte, die im Sinne einer liturgischen Dramaturgie zusammen gestellt wurden. So entstanden umgehend Zyklen mit vier- bis achtstimmigen Motetten zu einem Advents- , einem Epiphanias- und einem Passionsgottesdienst. H. wohnte dem Passionsgottesdienst Ende Februar 1894 in der Straßburger Thomaskirche bei und war begeistert von dieser neuen Dimension "Musik in der Liturgie". -

Beim Heiden-Besuch Fr. Spittas im Sommer 1894 entstand als neue Gattung das Libretto des "Kirchenoratoriums" Die Geburt Christi op. 90, ein durch Vertonung zahlreicher Weihnachtslieder populär gehaltenes Weihnachtsoratorium mit kleiner Orchesterbesetzung (Oboe, Streicher, Harmonium, Orgel) für breite Praktikabilität und mit im Werkablauf integrierten Gemeinde-Chorälen zum Mitsingen. In wenigen Wochen brachte H. die Musik zu Papier und dirigierte am 3. Advent d.J. in Straßburg die Uraufführung mit Fr. Spittas Chor und diesem als Tenor-Evangelist, nach eigenem Bekunden für H. der glücklichste Moment seines Lebens. -

Diesem "Glück" als "Unglück" unmittelbar vorausgegangen war im April 1894 der Verlust des Intimus Philipp Spitta durch dessen plötzlichen Herztod, den H. mit einer ebenfalls in kürzester Zeit konzipierten großen Messe in e-Moll in symphonischer Besetzung verarbeitete, publiziert als Memorial an den Freund unter op. 87. Hier huldigt H. dem Bach-Biographen durch explizite und implizite Referenzen an Bachs h-Moll-Messe. -

Im Sommer 1895 brachte Fr. Spitta nach Heiden das ausgefeilte Textbuch für ein großes, auf Gründonnerstag und Karfreitag zweigeteiltes Passionsoratorium in derselben Konzeption "Kirchenoratorium" mit, dessen Erarbeitung längere Zeit bis Ende Februar 1896 in Beschlag nahm, so daß die Uraufführung des gesamten Werkes op. 93 (durch H. selbst in der Berliner Marienkirche) erst am 3.4. 1897 erfolgen konnte, am Tage, als J. Brahms starb. H. reiste umgehend zur Bestattung des Freundes nach Wien. Im Frühjahr 1896 gründete Spitta zusammen mit seinem Straßburger Freund und Kollegen Julius Smend die Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst als Organ der "älteren liturgischen Bewegung". H. ließ sich als Mitarbeiter gewinnen mit Fachartikeln, Rezensionen und Notenbeigaben (einfachere Chorsätze). -

Das bereits im Sommer 1896 von Fr. Spitta vorgelegte Libretto zum dritten "Kirchenoratorium" mit dem Titel Erntefeier, das den Erntedank-Aspekt verbindet mit einer Reflexion auf die Problematik der drei Lebensalter Jugend, Erwerbsleben und Alter, nahm beim Komponisten eine längere Reifezeit in Anspruch. Zwischenzeitlich hatte er neben den üblichen "weltlichen" Kompositionsgeschäften selber noch eine Reihe Liturgischer Gesänge zum Totensonntag (op. 92, für die Leipziger Lutherkirche) zusammengestellt und eine von Julius Smend gelieferte Textzusammenstellung für einen Erntedank-Gottesdienst vertont (op. 99). Zum Tersteegen-Jubiläum 1897 (200. Geburtstag) konnte Fr. Spitta eine Choralkantate über "Gott ist gegenwärtig" (publiziert später als op. 106) anregen, die in wenigen Heidener Sommertagen 1897 entstand. Am 2. Juli 1898 wurde in Heiden schließlich die Partitur des zweieinhalbstündigen Opus magnum Erntefeier op. 104 vollendet, ein Oratorium diesmal in großer Besetzung mit Symphonieorchester, aber ebenfalls mit Integration von Gemeindegesang (Schluß "Gloria sei dir gesungen".) Die Uraufführung beim Straßburger Deutschen Kirchengesangvereinstag im Juli des Folgejahres 1899 erlebte H. als bereits von Krankheit gezeichneter Hörer im Rollstuhl. Die Gichterkrankung verhinderte weitere kompositorische Arbeit. -

Hat H. durch seine stets betonte Brahms-Genossenschaft selbst mit dazu beigetragen, daß seine Werke in den Gattungen von Lied, Kammermusik und Symphonie nicht aus dem Schatten des großen Meisters hervortraten, obgleich ihnen durchaus ein selbständiges Profil eignet, ist sein kirchenmusikalisches Schaffen durch die kirchlich-liturgischen Umwälzungen nach 1918 und die damit verbundenen ästhetischen Aversionen gegen die "Romantik" aus dem Blickfeld geraten. Die seinerzeit nicht gedruckten Aufführungsmaterialien zu den chorsymphonischen Großwerken galten nach 1945 sogar als verschwunden und sind erst nach der DDR-Wende im Leipziger Stammhaus des Peters-Verlages wieder aufgefunden worden. Zusammen mit den im Stuttgarter Carus-Verlag seit 1987 vorgelegten Reprints und Neuausgaben kam es zu einer Neuentdeckung in der Kirchenmusikpraxis, namentlich mit dem Weihnachtsoratorium Die Geburt Christi. Die Kammermusik und die Orchesterwerke werden durch die sukzessive vom Label cpo vorgelegten CD-Einspielungen bekannt gemacht. Mit dem 100. Todestag im Jahr 2000 begann auch in der Wahlheimat H.s Heiden im Appenzeller Land eine H.-Renaissance, die 2004 zur Gründung der Internationalen Herzogenberg-Gesellschaft mit Sitz in Heiden führte. Eine Gesamtausgabe des Werkes ist gleichwohl nicht projektiert. -

Die musikologische Fachwissenschaft rezipiert weit stärker als das kompositorische Werk H.s die bereits seit 1907 im ersten Band der Brahms-Briefausgabe greifbaren, reichhaltigen Äußerungen von Heinrich und Elisabeth von H. zum Schaffen von Brahms. Weitere Zeugnisse des inhaltlich wie stilistisch sehr hoch stehenden Briefverkehrs der von H.s sind in einschlägigen Dokumentationen zu den "Größen" des Musiklebens Joseph Joachim, Clara Schumann und Julius Röntgen (Amsterdam) zugänglich. Da der persönliche Nachlaß der kinderlosen von H. als verloren gelten muß, ist eine umfassende Dokumentation des vielfältigen Beziehungsgeflechtes dieses Komponisten, der - anders als sein Freund Brahms - unbefangen Kultur und Kirche zu vereinen wußte, nicht mehr möglich. In den erhaltenen Nachlässen der Freunde (z.B. die Gebrüder Spitta, auch Clara Schumann und Edvard Grieg) ist aber noch viel zu entdecken über einen Menschen, der in der unvoreingenommenen Rezeption von unterschiedlichst geprägten Texten und Musik und im Kontakt mit den verschiedensten Persönlichkeiten ein eigenes künstlerisches und geistig-geistliches Profil entwickelt hat, das sich gegen die gängigen Kategorisierungen sperrt.

 

Werkausgaben:
109 Opus-Nummern sind seinerzeit im Druck erschienen, ab op. 23 (ebenso wie die Lieder op. 1 und 2) überwiegend bei Rieter-Biedermann in Leipzig. Im Neudruck, bzw. Reprint greifbar sind (Stand 2008):
op. 3 8 Variationen für Klavier (VIII Veränderungen für das Pianoforte). Wollenweber, München;
op. 14 Deutsches Liederspiel. Peters, Frankfurt;
op. 23 Variationen über ein Thema von J. Brahms für Pianoforte zu vier Händen. Wollenweber, München;
op. 24 Klaviertrio c-Moll. Carus, Stuttgart;
op. 27 Zwei Streichtrios. Wollenweber, München;
op. 34 Psalm 116 "Das ist mir lieb" für vierst. gem. Chor a cappella. Carus, Stuttgart; Bärenreiter, Kassel;
op. 35 Zwölf deutsche Volkslieder für vierst. gem. Chor. Berliner Chormusik-Verlag;
op. 36 2. Klaviertrio d-Moll. Carus, Stuttgart;
op. 39 Orgel-Phantasie "Nun komm, der Heiden Heiland". Doblinger, Wien ;
op. 46 Orgel-Phantasie "Nun danket alle Gott". Doblinger, Wien. Musica rinata, Ditzingen;
op. 52 Sonate a-Moll für Violoncello und Klavier. Peters, Frankfurt;
op. 57,6 Weihnachtslied für sechsst. Chor a cappella. Carus, Stuttgart;
op. 61 Trio für Oboe, Horn und Piano. Musica rara (Breitkopf & Härtel, Wiesbaden);
op. 62 Legenden für Viola (Violoncello) und Klavier. Wollenweber, München;
op. 67 Sechs Choralvorspiele für Orgel. Doblinger, Wien;
op. 72 Requiem. Lenz-Musik Wiesbaden;
op. 75 Klavierquartett e-Moll. Wollenweber, München;
op. 76 Dainu Balsai. Litauische Volkslieder in Klaviersätzen zu 4 Händen. Möseler, Wolfenbüttel;
op. 81 Liturgische Gesänge für Chor a cappella. I. Zur Adventszeit, II. Zur Epiphaniaszeit; III. Zur Passionszeit. Carus, Stuttgart;
op. 87 Messe e-Moll. Carus, Stuttgart;
op. 89 Geistliche Gesänge für Gesang, Violine und Orgel. Carus, Stuttgart;
op. 90 Die Geburt Christi. Carus, Stuttgart;
op. 92 Liturgische Gesänge, IV. Zum Totensonntag. Carus, Stuttgart ;
op. 93 Die Passion. Carus, Stuttgart;
op. 94 Sonate für Violoncello und Klavier. Wollenweber, München;
op. 99 Liturgische Gesänge, V. Zum Erntedank. Carus, Stuttgart;
op. 102 Vier Choralmotetten für vierst. Chor a cappella. Carus, Stuttgart; Bärenreiter, Kassel;
op. 103,1 Lobe den Herrn, meine Seele für vierst. Chor a cappella. Musica rinata, Ditzingen;
op. 103,3 Ist doch der Mensch gar wie Nichts. Dialog zwischen leidenden und verklärten Seelen; für zwei Chöre a cappella. Bärenreiter, Kassel; op. 104 Erntefeier. Carus, Stuttgart;
op. 106 Choralkantate "Gott ist gegenwärtig". Carus, Stuttgart;
op. 109,1 Der Seesturm, Biblische Szene für Bariton, Chor, Streicher und Orgel; Musica rinata, Ditzingen.

 

Literarische Publikationen H.s (u.a.):
Bemerkungen zum Streit um das Wesen kirchlicher Musik, in Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst (MGKK) 1, 1896/97, 9-15;
Streit über die Bemerkungen zum Wesen kirchlicher Musik, MGKK 1, 1896/97, 171-175;
Die Passion, MGKK 1, 1896/97, 270-276 (Selbstanzeige op. 93);
Johannes Brahms in seinem Verhältnis zur evangelischen Kirchenmusik, MGKK 2, 1897/98, 68-71.

Briefausgaben:
Johannes Brahms im Briefwechsel mit Heinrich und Elisabet von Herzogenberg, hrsg. von Max Kalbeck, 2 Bde., Berlin 1907, Nachdr. Tutzing 1974;
Briefe von und an Joseph Joachim, hrsg. von Johannes Joachim und Andreas Moser, Band 3, Berlin 1913;
Brieven van Julius Röntgen, verzameld door A. Röntgen, Amsterdam 1934, 117-140.

Lit.:

Philipp Spitta, Musikalische Seelenmessen, in ders., Zur Musik. Sechzehn Aufsätze, Berlin 1892, 429-446; -
Friedrich Spitta, H.v.H., MGKK 5, 1900, 312-319; -
Wilhelm Altmann, H.v.H. Sein Leben und Schaffen, Leipzig 1903; -
Friedrich Spitta, Brahms und H. in ihrem Verhältnis zur Kirchenmusik, MGKK 12, 1907, 37-45; -
Friedrich Spitta, H.v.H.s Bedeutung für die evangelische Kirchenmusik, Jahrbuch der Musikbibliothek Peters 26 (1919), 1920, 34-55; -
Konrad Klek, H.v.H. und Friedrich Spitta. Sieben fruchtbare Jahre für die evangelische Kirchenmusik 1893-1900, MuK (I:) 63, 1993, 312-318, (II) 64, 1994, 95-106; -
Ulrike Schilling, Philipp Spitta, Leben und Wirken im Spiegel seiner Briefwechsel, Kassel u.a. 1994; -
Bernd Wiechert, H.v.H. Studien zu Leben und Werk, Göttingen 1997 (Werkverzeichnis, Lit.); -
Konrad Klek, Nach hundert Jahren im Kommen? Zur Rezeption H.v. H.s, MuK 70, 2000, 309-316; -
Charlotte Ebenig, Die Kirchenoratorien H.v.H.s, Mainz 2003; -
Konrad Klek, Der Komponist H.v.H. und sein Haus Abendroth in Heiden - mehr als eine Episode, in: M.Weishaupt (Hrsg.), Appenzellische Jahrbücher 131, 2003, 57-71; -
ders., H.v.H. als Chorsymphoniker, in: Chor und Konzert 40, 2006 I, 12-17; -
ders., H.v.H.s Chorwerke, in: Chor und Konzert 40, 2006 II, 17-21; -
ders., Ein Adliger als Kirchenkomponist. H.v.H., in: Musica Sacra 127, 2007, 301-303; - MGG 1. Aufl. Bd. 6, 302-306, 2. Aufl. Personenteil, Bd. 8, 1454-1461; - Lexikon der Orgel (2007), 317.

www.herzogenberg.ch.

Konrad Klek

 

Letzte Änderung: 31.12.2008

 

 

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