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«Mit Johanna von Herzogenberg

auf der Suche nach der Vergangenheit»
 

Eine Reise an ihren Geburtsort: Schloss Sychrow in Nordböhmen

 

  
 
Ein Schloss in Böhmen mit grosser Vergangenheit

Einer der eindrucksvollsten Höhepunkte unserer Dreiländerfahrt vom Mai 2007 mit dem Kulturpodium Heiden (Nordböhmen-Niederschlesien-Oberlausiz) war zweifellos der Besuch auf Schloss Sychrow nordöstlich von Prag. Von Reichenberg/Liberec waren wir an einem herrlichen Maientag nach Süden gefahren, als plötzlich die imposante Fassade von Schloss Sychrow vor uns auftauchte. Die folgenden Stunden der Besichtigung standen ganz im Zeichen einer unvergesslich lebendigen und zuweilen sehr nachdenklich stimmenden Führung unserer lieben Dr. Johanna von Herzogenberg, die auf Sychrow geboren wurde und hier einen Teil ihrer Kindheit verbrachte. Dabei kam uns nicht nur ihre verwandtschaftliche Nähe als einer leibhaftigen Grossnichte unseres Komponisten Heinrich von Herzogenberg zugute, sondern auch die nuancenreich formulierende Beredsamkeit einer promovierten Germanistin.

Johanna versammelte uns unter einer blühenden Kastanie und begann mit einer schwungvollen Einführung in die Baugeschichte des Schlosses: Auf den Grundmauern einer mittelaterlichen Festung errichtete Ritter Lamotte 1690 einen grösseren Barockbau, den Kern der heutigen Anlage, die später von den von Waldsteins erworben wurde. Diese verkauften das Schloss bereits 1820 weiter an die bretonische Adelsfamilie Rohan, die ebenso wie die Peccaducs, die Vorfahren der von Herzogenbergs, 1789 vor der Französischen Revolution mit allem mobilen Hab und Gut in den sicheren Machtbereich der Habsburgermonarchie geflohen waren. Fürst Alain Rohan liess das Schloss im Stil seiner Zeit umbauen und legte den romantischen Park an. Sein Sohn fügte Anbauten und ein Obergeschoss hinzu und gab ihm so das heutige Aussehen. Die Räume wurden mit dem geretteten Besitz der Familie prächtig ausgestattet. All das ist heute noch zu bestaunen, das vielbesuchte Schloss ist in einem hervorragend gepflegten Zustand.

Wir durchschritten das Schlosstor und standen nun im lichtdurchfluteten Innenhof vor dem dreistöckigen Ostflügel mit seinen beiden Ecktürmen. Hier wurde uns die historische Tiefendimension von Schloss Sychrow und Johannas Familie anhand der fast zwei Dutzend Wappen besonders anschaulich bewusst. Das älteste mit dem Adelstitel «Rohan-Endon» führt immerhin fast 1000 Jahre zurück in die Zeit der Kreuzzüge! Das eindrucksvolle Wappen der „Rohan-Guéménée» über dem Torbogen enthält den Wahlspruch der Rohans, der von Johanna immer wieder stolz zitiert wurde: POTIUS MORI QUAM FOEDARI («Lieber tot als ohne Ehre!»).

Unter diesem eindrucksvollen Symbol von Macht und Grösse öffnete sich der Weg in Richtung Kapelle. Für diesen historischen Ort hatte uns Johanna bereits ein Orgelkonzert in Aussicht gestellt, hier sollten wir in die Zeit ihrer glücklichen Kinderjahre im Schloss zurückversetzt werden. Wir nahmen in der stilvollen kleinen Schlosskapelle Platz, in der Johanna 1921 getauft wurde und die den Rohans den Rahmen bot für weit zurückreichende Ereignisse der Familiengeschichte. Den Stolz auf ihre «Vieux Bretons» veranschaulicht Johanna mit dem Zitat: «Rois ne puis je, duc ne digne je – Rohan je suis!» (König kann ich nicht werden, Herzog will ich nicht werden – ich bin ein Rohan). Nachwirkenlassen konnten wir diesen ersten Teil der Führung bei einem wunderschönen Orgelkonzert mit einer Bach-Toccata und anderen Kompositionen, danach erklang aus vollen Kehlen und vollen Herzen unser mehrstimmiges «Gloria sei Dir gesungen».

Anschliessend wurden wir im grossen Speisesaal erst einmal fürstlich mit einem vorzüglichen Essen bewirtet, bei dem am Rande auch das Ende der schönen Tage für Johanna auf Schloss Sychrow zur Sprache kam. Ihre Eltern mussten das Schloss verlassen und in ein kleines Anwesen in Aussig an der Elbe umsiedeln. Dann kam das schreckliche Schicksalsjahr 1945 mit dem Einmarsch der Roten Armee, der Vertreibung, Enteignung und Inhaftierung der beiden Familien und Zwangsarbeit. Wer wie durch ein Wunder alle Demütigungen überlebte, musste sich völlig neu für eine offene Zukunft orientieren, für die erst 25-jährige Johanna führte der Weg über Studium und Beruf schliesslich nach München. Die gesamte Geschichte des Schlosses wurde lebendig bei der anschliessenden Führung durch die oberen Säle mit ihrem reichen Inventar an Möbeln, Gobelins, Teppichen und Porzellan und an die 250 Grossgemälden von Ahnen und Herrschern, besonders eindrucksvoll dabei für die Damen das ganz in blau gehaltene «Frauenzimmer». Der prallvoll mit Geschichte gefüllte grosse Festsaal, dessen ehemalige hohe Staatsgäste uns Johanna vorstellte, stand am Ende des spannenden Rundgangs, gekrönt von der herrlichen Kassettendecke der grossen Holzschnitzerfamilie Bušek.

In nur wenigen Stunden waren wir Zeugen einer noch lebendigen jahrhundertelangen Geschichte, eines wohl einmaligen Schlosses und des reichen Lebens unseres inzwischen immerhin 86-jährigen «Königskindes» Johanna geworden. Sie hatte durch ihre faszinierende Schlossführung auf «ihrem» Schloss Sychrow und die so bescheiden gehaltene humorvolle Schilderung ihres in Glück und im Leid so tapfer gemeisterten Lebens nicht nur unseren tiefen Respekt, sondern auch unser aller Sympathie gewonnen. Nach herzlichem Abschied fuhren wir allein Richtung Polen weiter, der eine oder andere wohl nicht ohne ein wenig Wehmut «unsere Johanna» zurücklassend, die uns während vier Tagen so geistreich, geschichtskompetent und vital begleitet hatte...

Dr. Manfred Merker
Offenburg

 

 

 

Baronin Dr. Johanna von Herzogenberg ist am 12. Februar 2012 im 91. Altersjahr in München verstorben. Sie war massgebliche Motivatorin für die Gründung der Internationalen Herzogenberg-Gesellschaft und war während vieler Jahren eine kompetente, liebenswürdige und geschätzte Promotorin der Wiederentdeckung von «Onkel Heinrich» (wie sie ihn liebevoll nannte). Wir gedenken ihrer mit Dankbarkeit.

Andres Stehli, Geschäftsführer der IHG


Schloss Sychrow bei Liberec (Nordböhmen),
Geburtsstätte von Baronin Dr. Johanna von Herzogenberg


Im Park von Schloss Sychrow:
Einführung in die Vergangenheit


Im Speisezimmer auf Schloss Sychrow

 

 

 
 

Johanna von Herzogenberg:
Erinnerung an die Vergangenheit...

...im Angesicht der
Vorfahren

 
 
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