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Musik, die wohl tut

Der Komponist Heinrich von Herzogenberg als Zeuge von Heilung

6. Januar 2004, Wassersaal der Orangerie in Erlangen. Es verklingt der letzte, zart angespielte F-Dur-Akkord des langsamen Satzes aus dem Klavierquintett op.17 von Heinrich von Herzogenberg. Da ist aus der konzentrierten Ruhe des Auditoriums deutlich zu vernehmen: „Wunderbar!“, seiner Partnerin spontan zugeraunt von einem (älteren) männlichen Hörer. Bei einer zweiten Aufführung durch dieselben Künstler ein paar Tage später in Bad Mergentheim macht sich an exakt derselben Stelle wieder ein „Wunderbar!“ hörbar. Diesmal kam es von einer weiblichen Stimme ...

Wohltuende Musik im besten Sinne des Wortes muss das sein, wenn Hörer gegen das Schweigegebot im Konzert spontan mit „Wunderbar!“ reagieren und damit deutlich machen, dass diese Töne sie unmittelbar bewegt, ihnen überraschend und spürbar gut getan haben. Solchermaßen wohltuende Musik steht bei Fachleuten nicht unbedingt in höchster Gunst. Die Musikgeschichtsschreibung favorisierte das Problematisierende, in Harmonik und Form an die Grenzen Stoßende als weiterführend. Und da bot Herzogenbergs älterer Freund und Vorbild Johannes Brahms weit mehr. Heute, wo das Fortschrittsprinzip mit seinen für Mensch und Umwelt letztlich fatalen Konsequenzen fragwürdig geworden ist, können wir neu entdecken, was an lebensförderlicher Kunst im Schatten des sogenannten Mainstreams unbeachtet blieb und uns überraschend gut tun kann. Dazu gehört sicherlich die Musik von Heinrich von Herzogenberg.

Dass Herzogenbergs Musik als wohltuend empfunden wird, korreliert spezifisch mit seiner Lebensgeschichte. Durch die jahrelange Herzkrankheit seiner Frau Elisabeth und die eigene schwere Rheuma-Erkrankung, die im Alter von 43 Jahren ausbrach, war körperliches Gebrechen ein steter Lebensbegleiter. Freunde bedauerten in Briefen vielfach das Geschick der Herzogenbergs, äußerten aber auch Bewunderung darüber, wie gelassen sie die gesundheitlichen Einschränkungen hinnahmen und wie positiv gestimmt sie stets mit Heilung rechneten. „Die Herzogenbergs sind eigentlich ideale Menschen“, meinte Clara Schumann sogar einmal im Bezug darauf. Offenbar gab die positive Kraft der Musik den Herzogenbergs den Mut, vom Leben stets Gutes, Heilung zu erwarten, auch wenn die augenblickliche Befindlichkeit gegenteilig war. Als durch eine Knieoperation der Entzündungsherd tatsächlich beseitigt worden war, komponierte Herzogenberg als Rekonvaleszent in Italien Legenden für Bratsche oder Violoncello („Kniegeige“) und Klavier (op.62), in deren furiosem Mittelsatz, überschrieben mit einem Zitat aus Goethes Faust, er sozusagen anamnetisch alle Schmerzen noch einmal zur Geltung kommen ließ, um sie dadurch definitiv zu überwinden. Solchermaßen geläutert konnte er dann in einem traumhaft schönen Andante liedhaft mit Variationen sein neu errungenes Wohlsein besingen..

Auch den Verlust der Ehefrau, die 44-jährig im Januar 1892 starb, wusste er mit Musik heilvoll zu bewältigen. In den letzten Wochen des Trauerjahres komponierte er als großes chorsymphonisches Werk eine „Todtenfeier“, in deren erstem Teil er die Auflehnung gegen die bittere Realität des Todes ergreifend artikulierte, im zweiten Teil aber mit unglaublich wohltuender Musik dem Segen von Trosterfahrungen Raum gab: „dein kurzes Leid soll sich in Freud und ewig Wohl verkehren“ heißt es da zum Beispiel. Und die Musik verkehrt sich buchstäblich in puren Wohlklang. In dem einige Jahre später komponierten Oratorium „Die Passion“ findet sich als besondere Perle ein große Choralbearbeitung zu „Was Gott tut, das ist wohlgetan“. Da bezeugt Herzogenberg: „... weil doch zuletzt ich werd` ergötzt mit süßem Trost im Herzen, da weichen alle Schmerzen.“ Offenbar geschult an Bachs Kunst in den Choralkantaten-Eingangssätzen gelang ihm da Musik, die große kontrapunktische Raffinesse (Verschränkung von Umkehrung, Verkleinerung und Vergrößerung des Choralthemas) verbindet mit gelassen dahinströmendem Fluss und schlicht überzeugender Gestik, mit harmonischer Klarheit und textbezogener Pointierung: der „süße Trost“ wird sinnlich unmittelbar erfahrbar.

Die wohltuende Wirkung in Herzogenbergs Musik an konkreten musikalischen Strukturen fest zu machen, bedürfte einer eingehenden Untersuchung. Die im Folgenden benannten drei Komponenten werden dabei wohl Beachtung finden sollen:

1) Die Architektur der Musik. – Herzogenberg hatte ein besonderes Fable für Architektur und konstruierte bekanntlich sein Haus „Abendroth“ in Heiden selbst. Musikalisch geprägt wurde er unter anderem durch seine fast zehnjährige Auseinandersetzung mit dem Schaffen Joh. Seb. Bachs als Leiter des Leipziger Bach-Vereins. Die Proportionen und Ordnungsprinzipien in Bachs Musik hat er im Erarbeiten von Bach-Kantaten nicht nur als historisch interessierter Notenleser, sondern als ausübender Musiker aufgenommen. Auch seine eigene Musik hat er „wohlproportioniert“ angelegt. Ein evidentes Beispiel: Der Schlusssatz der 1894 entstandenen großen Messe in e-Moll bringt zunächst 66 Takte die Bitte „Agnus dei, miserere nobis“ in e-Moll, dann ebenso 66 Takte die Bitte „dona nobis pacem“ in E-Dur, um dann mit 19 Takten Coda noch explizit den Schlusspunkt zu setzen.

2) Harmonik im Dienste des reinen Klangs. – Herzogenberg geht oft von elementaren Dreiklängen aus und kehrt nach unter Umständen großen Umwegen über weit entfernt liegende Harmonien stets wieder dahin zurück. Auf dem Gebiet des Chorsingens hat er selber das Singen mit reinen Terzen bei seinen Choristen geschult, einen Aufsatz darüber geschrieben und an der Berliner Hochschule Experimente veranlasst, wo Tasteninstrumente mit reinen Terzen spielen konnten anstelle der alle Intervalle nivellierenden gleichstufigen Stimmung. Die therapeutische Wirkung von reinen Terzen ist nicht zu unterschätzen und so wird Herzogenbergs Kunst gerade als auf reine Terzen angelegte Musik ihre wohltuende Wirkung entfalten können.

3) Melodik im Dienste des (reinen) Dreiklangs. – Die bisweilen bemängelte „Blässe“ in der melodischen Erfindung bei Herzogenberg könnte gerade dieser essentiellen Dreiklangs-Bezogenheit geschuldet sein. Das Individuelle, subjektiv Expressive – wie es auffallende Melodien verkörpern - steht hinter der Entfaltung von essentiellen Klang- und Formgesetzlichkeiten zurück. Wichtig werden elementare, dreiklangsbezogene Grundmotive wie etwa der Beginn des Schlusschorals der Todtenfeier „Auf, Tochter, auf“ (d-fis-g-a aufsteigend), ein Motiv, das vielfach in Herzogenbergs Werken auftaucht, oft auch in Umkehrung. Solche Elementarisierung aber kommt der Fasslichkeit der Musik für die Hörer entgegen, Musik kann so unmittelbarer berühren und als Wohlklang erlebt werden.

Musik war für Herzogenberg offenbar Lebenszeugnis. Auch das Leben in der Natur, wie er es gerade in Heiden aufnehmen konnte, hat ihn für das Komponieren inspiriert. Er wollte mit seiner Musik gelingendes Leben bezeugen, was auch die religiöse Dimension einschließt. So ist es stimmig, wenn der letzte grandiose Chorsatz des am 2. Juli 1898 in Heiden signierten opus magnum Erntefeier den Psalmvers vertont: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens und in deinem Lichte sehen wir das Licht.“ Als Summa seines Lebens haben die Freunde dieses Wort als Inschrift auf Herzogenbergs Grabmal in Wiesbaden setzen lassen.


Universitätsmusikdirektor Prof. Dr. Konrad Klek, Erlangen:
konrad.klek@fau.de



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