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Briefzitate zu Heinrich von Herzogenberg

Requiem op. 72

 
 
 

1)     Elisabeth von Herzogenberg an Johannes Brahms, Berlin 16.12.1890   (Kahlbeck, Briefe Bd. II. S.249f.)

.... Haben Sie Dank für die Mitteilung des einliegenden Gedichts, das eine ergreifend schöne Stimmung hat. Zum Dank würde ich gerne Heinrichs neuestes Stück senden, das mir ausnehmend gelungen erscheint: ein lateinisches Requiem für Chor und Orchester, gottlob ohne Soli. Aber es ist nichts davon zu Hause, da er es im März in einem Konzert in Leipzig aufführt. Ich bilde mir ein, Sie wären zufrieden mit dem Stück, und ich brenne darauf, einmal Ihr Urteil zu hören. Heinrich hat es diesen Winter gemacht, in unglaublich kurzer Zeit, und das trug wohl dazu bei, daß es sehr aus einem Guß, und überhaupt gegossen und fließend, sangfroh und chorgerecht geworden (wenigstens so glauben wir).

Leben Sie für heut wohl ...

 

2)     J.Brahms an Heinrich von Herzogenberg, Wien, 10.Jänner 1891   (Kahlbeck, ebd. S.250f.)

Seien Sie nicht bös, wenn ich einstweilen nur hierdurch für Ihre Sendung danke. Längst wollte ich Sie bitten, mir doch diese Zeichen Ihres Fleißes öfter mitzuteilen. Aber wie neidenswert fleißig sind Sie überhaupt, wie jung und lebens- und schaffensfroh! Möge Ihnen die Leipziger Aufführung rechte Freude machen!

Herzlichst Ihr J.Br.

 

3)     Elisabeth von Herzogenberg an ihren Gatten (nach Leipzig) aus Bad Wildbad, 14.2.1891 (Hamburger Theatersammlung, Handschriften Mappe 9, unveröffentlicht, übermittelt durch A.Ruhbaum, Berlin)

Mein Heinrichl, ich bin schon wieder in meinen Bettchen, lutsche meine schöne Kindermilch u. fühle, wie Unschuld u. Kraft gleichzeitig in meinen Körper dabei einzieht. Würthemberger Waldduft, gute breite Kuhstirnen, ihr stilles unbeirrtes Auge, die Gast-Kühe in Wildbad, die sich so streicheln ließen, auch wenn man nicht ihre Milch trank – alles mögliche schwebt mir bei diesem holden Getränk vor, u. ich fühle mich wirklich davon angeregt! Es ist 5 Uhr u. du bist nun beinah angekommen, einsamer Spatz u. kriegst gleich Thee u. schwarzweiße Butterbrödchen bei unsrer alten lieben Freundin. Dort wird dir gleich wohl werden u. das Heimweh vergehen du guter Kerl u. wenn sie dann alle angewimmelt kommen die Astorchen u. Böttcher etc., wirst du ganz lustig werden, ja? Es ging mir draußen ganz gut ...

Noch hoff‘ ich auf den 22., denn dieses Requiem ist von meinem Heini u. ich hab ein Recht darauf.

Und es ist ein schönes Stück! Verlaß dich drauf! Verlier nur keine Zeit mit leichten Stellen, aber Hostias u. Agnus Dei das büffle.

Ade mein lieber lieber guter Schatzmann du. Ich bin’s nicht werth daß du so gut bist für deine Lisi. Hoffentlich kann ich dies nie wiedergeben!

Grüße Hedwig u. die Helenen. von obiger ganz lustigen Lisi.

 

Vom 19.2. ist eine Postkarte erhalten, wo EvH über ihr (wechselhaftes) Ergehen berichtet. U.a. heisst es:

Ich schäme mich so, daß ich heut früh so verzagt war, jetzt bin ich schon ganz anders u. freue mich auf Deine Nachrichten.

 

 4)     Die erwarteten Nachrichten via Postkarte sind nicht erhalten, allerdings wird eine Passage daraus zitiert in der Replik Ernst Hauptmanns auf Ernst von Wildenbruchs 1902 in der Deutschen Rundschau veröffentlichten Novelle „Das tote Haus am Bodensee“ (Deutsche Rundschau 1903, 146):

Ich kann es mir nicht versagen, hier die Stelle aus einem Briefe einzuschalten, in der Herzogenberg selbst ausspricht, wie beglückt er von seinem Schaffen war. Es war im Winter 1891, als er in der Thomaskirche zu Leipzig die Probe zu seinem Requiem geleitet hatte, demselben herrlichen Werke, das Philipp Spitta zu der oben erwähnten bedeutungsvollen Arbeit veranlasst hatte. Er schrieb damals: „Von ½ 10 Uhr bis 1 Uhr mit 31/2 Extremitäten gearbeitet. Wie schön das Stück ist, kann ich Dir gar nicht sagen; alles viel schöner und wärmer als ich dachte. Manche Momente habe ich gar nicht selber gemacht, sondern hörte bloß zu mit offenem Munde, so das Ende des „Dies“, das ganze 6/8-As-dur und vieles Überraschende.“

 

Die Antwort darauf von Elisabeth vom 21.2.1891 lautete (Hamburger Quelle, s.o.Z.3):

Mein H, D. liebes Kärtlein über Probe u. Dein schönes saftiges Stück hat mich hoch beglückt! Ich kann dir dagegen berichten ... (folgen Krankheits- und Therapiesachen) Also seien wir dankbar! (unterstrichen)

Aber viel schreiben verbietet er immer noch, also muß ich mich kurz fassen – mein lieber Mann. Daß dir D. Stück so gut gefällt rührt mich, fast so gut wie mir, scheint es? Vergiß die Bisquits nicht die ich Lili zu besorgen bat. Wie famos, daß du die lange Probe aushieltest! Du Wackerer! ...

Lebewohl u. Gott behüt dich u. unser Stück morgen. Hätt ich doch ein Programm! Ich weiß das 2.Orgelstück nicht. Schick mir noch rasch eins. Wann kommen m. Expresse denn immer an ...

Dein sehr für dich u. Requiem aufgethautes Lisl

 

 5)     Brahms an Elisabeth von Herzogenberg ,Wien, Febr. 1891 (Kahlbeck ebd. 251f.)

Verehrteste Liebe,

Ich habe mir keinen Brief verdient, und ich denke es heute auch nicht zu tun. Aber eine Zeitung, ein Programm hätten Sie schicken sollen, daß man erfährt, wer und was der Königspsalm eigentlich ist. Mit kurzem Wort hätte ich doch auch gern gehört, ob Sie rechte Freude an Leipzig und den Leipzigern hatten. – Wieviel Butterbemmchen in den Proben gegessen, wieviel Strümpfe gestrickt (heiliges Andenken an Riedel!), was der gelehrte * geredet, usw. – so ausführlich verlange ich alles Schöne nicht zu hören.

Höchst nötig aber ist, zu erfahren, ob Herr Astor fleißig daran ist !!

Mit freudigem Neid denke ich, wie schön fleißig Sie sind, in wie schönem, ernstem und ernst teilnehmendem Kreise Sie leben – abwechselnd legt sich leider immer einer aufs Ohr?!

Das tun wir hier alles nicht, sondern verlesen und vertändeln unsre freie Zeit (wie Beilage zeigt). Irgend ein Wort aber schicken oder sagen Sie Ihrem herzlich ergebenen und grüßenden J.Brahms.

 

6)     HvH an J.Brahms, Berlin 28. Februar 1891 (Kahlbeck, ebd. 252f.)

Verehrtester Freund!

Eben wollte ich die Feder ansetzen, um für Trio und Quintett zu danken, da kam Ihr Brief mit den vielen Fragen und lustigen Kanons.

Mit meiner Frau geht’s diesmal so langsam wie noch nie. Seit sechs Wochen liegt sie zu Bett, und der Arzt kann nicht recht zur Klarheit kommen, ob dieser Stillstand ein Fortschritt oder ein Rückschritt sei. Mit der Beschreibung ihrer Zustände verschone ich einen solchen Virtuosen der Gesundheit, wie Sie sind; genug, er ist, wenn auch eben nicht gefahrdrohend, doch recht ernsthafter Natur. Die Frau grüßt Sie recht schön und läßt Ihnen so viel Schönes von meinem Requiem sagen, was ich aber unterdrücke, da sie sich diesmal, zum ersten Male seit 22 Jahren, nicht eben durch raisonable Objektivität hervortut. Lustige Tage waren es aber in Leipzig, trotz des traurigen Stückes und trotz der Unruhe, in der ich meiner Frau wegen lebte. Am meisten interessieren wird sie, daß ich alle Proben und Aufführungen im Schweiße meines Angesichts, aber in tadelloser Rüstigkeit zum Staunen meiner Freunde mit der Ausdauer und Eleganz eines Akrobaten leisten konnte. Die Aufführung war vortrefflich; die neue Thomaskirche soll ganz herrlich geklungen haben, so daß Spitta und Hausmann ganz neidisch wurden. Das Stück selbst ist zu gut, um gute Besprechungen zu erleben. Sie werden daher nicht viel Gescheites darüber finden; gern sende ich’s aber einmal in dieser oder jener Form, wenn ich Ihnen damit einen jener seltenen, aber kostbaren Rosenöltropfen erpressen kann, von welchen ich mein künstlerisches Dasein gefristet habe. „Königspsalm“ ist der Titel einer Gelegenheitskomposition für Kaisers Geburtstag, wie sie,  Reihe herum, jeder „Akademiker“ einmal leisten muß. Daß es mich besonders reizte, einmal ganz fix auf Bestellung zu arbeiten, will ich nicht leugnen. Es ist ein guter Prüfstein für das allgemeine Stadium der Konfektion, in welchem man sich befindet; gelingt es einem passabel, so weiß man endlich einmal, wieviel man an Technik wirklich sein eigen nennen kann. ....

 

7)     Brahms an HvH, Wien 29.April 1891 (Kahlbeck ebd. 254)

... Wenn ich nicht das Briefschreiben längst verschworen hätte, so würde ich an Spitta eine große Dankepistel erlassen für seinen schönen Requiemaufsatz und seinen letzten Schütz-Band, in dem ich schwelge. ...

 

 8)     HvH an Brahms, Berlin, 30.April 1891 (Kahlbeck ebd. 255f.)

... Am 11.Mai macht der Bachverein in Leipzig mein Requiem zum zweiten Male (schade, daß es nicht nach Brünn verlegt werden kann; ich wüßte dann wohl, wen ich gerne dabei hätte). Leider ist noch immer keine sichere Hoffnung darauf zu setzen, daß meine Frau dabei sein kann. Wenn’s auch im allgemeinen nun endlich viel besser geht, so ist in der Sache doch noch so wenig Bestand und Sicherheit, daß wir nicht gut Pläne machen können, und sie sich namentlich nicht dem Ansturm der Leipziger Freundschaft gefahrlos aussetzen dürfte.

Ihre schönen warmen Worte an Spitta werde ich ihm gleich übermitteln; so was Gutes braucht er von Zeit zu Zeit. ...

 

9 ) Brahms an HvH, Wien 10. Mai 1891 (Kahlbeck, ebd. 257)

       Herzlichen Dank für Ihre Sendung, die gar nicht gelegener kommen konnte – doch, um Gotteswillen!

       Das klingt, als ob ich schon ein Requiem gebrauchen wollte. Nein, aber die Koffer sind grade fertig gepackt  

       für Ischl, ich kann’s grade noch obenauf legen. Dort aber werde ich mich Ihres Fleißes freuen und dazu

       vergnügt weiter faulenzen. Ich höre, Ihre Frau ist mit nach Leipzig. Dann wird’s ihr auch gut bekommen,

       und werden Sie zusammen köstliche Tage verleben. ...

 

10)  Brahms an Clara Schumann, Ischl,  Mai 1891 (Lietzmann, Briefe Bd. 2, 450)

... Ja, und sonst? Durch das Requiem von Herzogenberg ist auch wohl auf Dein Gesicht keine Entzückung gekommen!? Ich weiß ihm kein Wort über das trostlose Stück zu sagen und kann doch nicht seine Streichtrios und Oktette jetzt dagegen loben und mich ihrer freuen?

Was sagst Du nur dazu und was ihnen!? – Gehen wir an die Oos und Ischl spazieren und denken an Palermo.

Mit herzlichen Grüßen an Dich und alle Dein Johannes.

 

11)  Cl. Schumann an Brahms, Frankfurt a.M. 7.Juni 1891 (Lietzmann, ebd. 452)

... Du schreibst mir ja recht verzweifelt von Herzogenbergs Requiem! Ich weiß gar nichts davon, er hat es mir nicht geschickt, und leider ist mir das ja nur Erleichterung.

Leb‘ wohl, genieße das schöne Ischl recht ungetrübt, und sei herzlich gegrüßt von Deiner betrübten Clara.

 

Franzensbad, den 28.Juli 1891 (Lietzmann, ebd. 454)

... Herzogenbergs Requiem habe ich nun auch erhalten, kam hier aber nicht dazu, es kennen zu lernen – ich fürchte mich etwas davor, sagte ihm doch so gern, was er gern hören möchte! - ...

 

12)  Elisabeth von Herzogenberg an Amanda Röntgen (Gattin des Dirigenten, Komponisten und Pianisten Julius Röntgen, Amsterdam), Bad Nauheim den 24.9.91 (unveröffentlicht)

Dennoch, daß ich nach Leipzig konnte zum Requiem, dafür bleibe ich dem lieben Gott ewig dankbar, u. wie habe ich es damals genoßen!

Es gefällt mir so sehr dies Werk, ich kann es nicht leugnen u. daß ich fühlen u. mit ansehen durfte, wie es auf so viele Andre auch gewirkt u. wirklich in die Herzen gedrungen war, machte mich so stolz u. glücklich. Ich habe ein Exemplar an Ihren Julius senden lassen, als kleines Geschenk von mir u. er soll mir schreiben ob er auch ein wenig Freude an der Musik hat. ...

Nach dem schweren schweren Winter – zwei u. einhalb Monat ununterbrochenen Bettliegens sind keine Kleinigkeit – erquickte mich das Leipziger Intermezzo doppelt, nachher kam aber wieder viel Quälerei, im Juni ein ganz böser Rückfall ...

 

13)  Brahms an Cl.Schumann, Ischl, Juni 1895 (Lietzmann, ebd. 587):

Bruch hat jetzt einen Moses herausgegeben und Herzogenberg nach Messe und Requiem eine Art „Christi Geburt“. Wenn man nur eine Spur Freude an den Sachen haben könnte! Sie sind in jeder Beziehung schwächer und schlechter als ihre eigenen früheren Sachen. Die einzige frohe Empfindung ist, wenn man, wie ich, meint, Gott danken zu dürfen, daß er einen vor der Sünde, dem Laster oder der schlechten Angewohnheit des bloßen Notenschreibens bewahrt hat. ...

  


Besprechungen des Requiems op.72

 

Philipp Spitta: Musikalische Seelenmessen

in: Unsere Zeit (1891), S.306-315, wieder abgedruckt in: Zur Musik. Sechszehn Aufsätze, Berlin 1892, S.429-446.

 

Julius Spengel: Heinrich von Herzogenberg in seinen Vocal-Werken,

in: Die Sängerhalle 33 (1893), Separatdruck Leipzig 1897 hieraus S.4 folgendes Zitat:

Die Begeisterung für ein Vorbild verlockt ihn manchmals zur Nachahmung: auf das junge Gemüt übt Schumann begreiflicherweise eine so starke Wirkung, vorübergehend ist dann Wagner von Einfluß, und später, auch noch, wo Herzogenberg’s Persönlichkeit schon voll entwickelt ist, zeigt Brahms noch ähnliche Gewalt über ihn. Aber er ringt sich los, teils aus eigener Kraft, teils unter dem Schutz anderer, läuternder Vorbilder; die alten deutschen und italienischen Chormeister haben ihm sehr geholfen, dann Bach und Händel und vielleicht nicht am wenigsten Cherubini.

Andererseits hat Herzogenberg wohl, verleitet durch seinen starken Gestaltungstrieb, mit einer Neigung zum einseitig Geistreichen zu kämpfen gehabt, und zum Arbeiten bisweilen nicht das sichere Schönheitsgefühl und strömende empfinden mitgebracht, so daß wir hie und da etwas spröden und kühlen Erzeugnissen rhythmischer und harmonischer Überfeinheit begegnen. Aber auch hiervon hat Herzogenberg immermehr sich freigemacht; die letzten Werke, vor allem das „Requiem“, Op.72, zeigen ihn uns in voller Selbständigkeit und Reife der Gedanken, in sicherer Beherrschung der größten Formen und in gesunder Kraft des Empfindens. Er hat die Klarheit und Einfachheit erreicht, die die Höhe der Meisterschaft bezeichnet. Wir müssen ihn jetzt zu den Besten unserer Zeit rechnen.


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