Herzogenberg und Heiden
Übersicht

Aktuelles
• Der Komponist,
  sein Umfeld,
  seine Zeit
Werkverzeichnis
   - nach Gattungen
   - nach Opuszahlen
• Musikwissenschaftl. Beiträge, 
  Werkeinführungen, Analysen

Briefwechsel/Transkriptionen
• Herzogenberg-Gesellschaft
Herzogenberg-Freundeskreis
• aufgelöst: Herzogenberg-Fonds 
Herzogenberg-Konzerte & Zyklen
in Heiden     andern Orts  
• au
f YouTube
Gönner der Sache
Herzogenberg
und
der Konzertreihen
CD-Kiosk
• Bücher
Musikverlage
Herzogenberg-Noten:
Werkliste, Bestellungen,
Verlage,
gratis Download
Aktuelles
• Links
 
Der Journalist Peter E. Schaufelberger in einem Interview mit Mario Schwarz, der die Uraufführung von Herzogenbergs Violinkonzerts leitete
 

Mario Schwarz: «Es gibt nicht viele romantische Violinkonzerte von ähnlicher Qualität!»

Am 1. Mai 2008 hat Mario Schwarz mit der russischen Geigerin Lisa Shnayder und dem Collegium Musicum St. Gallen das 1889 entstandene Violinkonzert A-Dur von Heinrich von Herzogenberg in der Evangelischen Kirche Heiden uraufgeführt. Zwei weitere Aufführungen folgten am Tag darauf in der Tonhalle St. Gallen und am 4. Mai in Schaffhausen. In einem Gespräch geht der Dirigent auf das Werk, aber auch auf die Gründe ein, die eine Uraufführung nach so langer Zeit des Vergessenseins besonders reizvoll machen.

 

Mario Schwarz, Du hast mit Deinem Collegium Musicum und dem Kammerchor Oberthurgau, aber auch mit andern Ensembles schon manche Uraufführung zeitgenössischer Komponisten einstudiert und geleitet, daneben aber auch vergessene Werke aus vergangenen Zeiten wieder aufgegriffen. War Dir Heinrich von Herzogenberg schon früher bekannt ?

Überhaupt nicht. Als ich den Namen im Jahr 2000 anlässlich des Herzogenberg-Zyklus‘ in Heiden erstmals hörte, erschien mir diese Veranstaltungsreihe zum 100. Todestag des Komponisten als einer jener zahllosen und meist erfolglosen Versuche, das Schaffen längst vergessener Musikschöpfer neu zu beleben – im konkreten Fall vor allem begründet durch den örtlichen Bezug über das Haus „Abendroth“. Erst später hab‘ ich begonnen, mich näher mit Herzogenberg und seinem Werk zu befassen – worauf ich mein Vorurteil rasch und gründlich revidierte.

In welcher Hinsicht ?

Herzogenberg war mit Johannes Brahms eng befreundet, und diese Nähe schlug sich auch in seinem eigenen Schaffen nieder, namentlich in seiner Kammermusik und in seinen Orchesterwerken. Das trug ihm schon zu Lebzeiten den Stempel eines Brahms-Epigonen ein – ein Urteil, das nur die musikalischen Verwandtschaften beachtete, nicht aber die starke eigenständige Persönlichkeit Herzogenbergs. Auch im Violinkonzert wird die Nähe zu Brahms spürbar und darf es auch, die persönliche Handschrift aber wird gerade hier besonders deutlich. Dazu nur ein Hinweis: Brahms‘ Geigenkonzert müsste man eigentlich als Konzert für Orchester und Solovioline bezeichnen, Herzogenberg hat ein Konzert für Violine und Orchester geschrieben mit deutlicher Betonung des Solo-Instruments.

Wie würdest Du dieses Konzert denn charakterisieren ?

Es ist einerseits extrem virtuos, und ich könnte mir sogar vorstellen, dass Joseph Joachim das ihm gewidmete Werk aus diesem Grund nie gespielt hat: Es war ihm ganz einfach zu schwer. Doch es ist auch musikalisch überaus dankbar. Ich denke da etwa an den bedachtsamen Einstieg der Solo-Violine im ersten Satz, aber auch und vor allem an die grossartige Kombination von südländischer Leichtigkeit und deutscher Formenstrenge im Andante sostenuto, das als Geschenk an Joachim ja vor den beiden Ecksätzen entstanden ist. Doch die ausgeprägte italianità des in Nizza komponierten Werks prägt auch diese andern, wenig später geschriebenen Sätze.

Dennoch: Leicht ist der Zugang zu diesem Konzert nicht…

Das ist richtig. Es ist keine Musik, die einen anspringt, im Gegenteil. Man muss sich in sie hineingeben, sich auf sie einlassen, dann erst erschliesst sie sich in ihrem ganzen Reichtum. Umso eher müsste ein guter Geiger von diesem Konzert angesprochen sein, in dem technische Könnerschaft und musikalisches Gestaltungsvermögen gleichermassen gefordert sind. Für mich jedenfalls steht fest: Es gibt nicht viele romantische Violinkonzert von ähnlicher Qualität. Ich weiss mich da etwa mit Armin Brunner, dem langjährigen Redaktionsleiter ‚Musik und Ballett‘ des Fernsehens DRS, einig, der mir in einem Mail geschrieben hat: ‚Ein wirklich schönes Violinkonzert. Man staunt und denkt, dass die Musikgeschichte es sich offenbar leisten kann, achtlos an solchen Schmuckstücken vorbeizugehen.‘ Und Lisa Shnayder, die Solistin der Uraufführung, sprach in einem Brief gar von ‚einem der grössten Meisterwerke, das je für dieses Instrument komponiert worden ist.‘

 Ist es wirklich die Musikgeschichte, die „achtlos an solchen Schmuckstücken vorbeigeht“ ? Ist es nicht vor allem der Konzertbetrieb, der sich gleichsam um sich selber dreht und Entdeckungen wie dieser einen Durchbruch erschwert, wenn nicht verunmöglicht ?

Ich denke, da wirken viele Faktoren zusammen. Und bei Uraufführungen oder „Wiederaufnahmen“ von Kompositionen vergangener Zeiten kommt erschwerend hinzu, dass das Notenmaterial nur in Bibliotheken oder Archiven zugänglich ist. Orchester- und Solostimmen müssen erst aus den handschriftlichen Partituren ausgezogen, die Partitur selber muss bereinigt werden, bevor man auch nur an eine erste Probe denken kann.

 Was in diesem Fall wohl etwas einfacher gewesen ist, da das Manuskript des Violinkonzerts dank der der finanziellen und editorischen Unterstützung der Internationalen Herzogenberg-Gesellschaft erschlossen werden konnte.

 Das stimmt. Aber dann sitzt man vor einer Partitur, beginnt darin zu lesen, entwickelt gewisse Vorstellungen, wie diese oder jene Stelle klingen, einzelne Passagen gestaltet werden könnten. Wörter und Sätze eines Romans verwandeln sich während des Lesens in Bilder, musikalische Motive werden für sich allein wie auch im Gesamtgefüge eines Werks zu Klang. Bis man selber in die Landschaft fährt, in welcher der Roman spielt, und feststellt, dass die eigene Phantasie und die Realität sich nicht decken. Oder bis man mit den Proben beginnt und plötzlich merkt, dass manches, was man sich vorgestellt hat, so nicht ganz stimmt oder mit kleinen Veränderungen noch deutlicher herausgearbeitet werden kann.

 Das ist aber bei jedem Werk so, nicht nur bei Uraufführungen oder Ausgrabungen.

 Ein Stück weit ja. Doch hier hat man gar nichts anderes als diese Noten, eine Anzahl Vortragsbezeichnungen, ein paar Tempoangaben. Und man kennt das Umfeld, in dem das Stück entstanden ist – sonst nichts. Das freilich ist auch das Faszinierende an einer solchen Uraufführung: das Hineinwachsen in ein Werk, das Entdecken seiner Seele, ohne die selbst die handwerklich perfekteste Komposition nur Handwerk bliebe.  

                                                                                                Interview: Peter E. Schaufelberger

 

zurück an vorige Stelle

 

 


Mario Schwarz, St. Gallen: Er initiierte die Uraufführung des Violinkonzerts in Heiden

Mario Schwarz

Die russische Geigerin Lisy Shnayder war die Solistin der Uraufführung des Violinkonzerts von Herzogenberg am 1. Mai 2008

Lisa Shnayder

Die Schlussseite des Autografs des Klavierauszugs zum Violinkonzert

Schlussseite Autograf Violinkonzert

Johannes Brahms und Joseph Joachim (r), dem Herzogenberg das Violinkonzert widmete

nach oben