Notenedition, herausgegeben durch UMD Prof. Dr. Konrad Klek, Erlangen
Zu Herzogenberg, Fantasia quasi Sonata WoO 13
Konrad Klek (überarbeitete und ergänzte Passagen aus einem Vortrag bei den
Herzogenberg-Tagen in Heiden am 1. Mai 2008) Die überlieferte Handschrift ist in ihrer Präzision tatsächlich ein „Prachtexemplar“. Bogen- und Akzentsetzung, Dynamik, Vorzeichensetzung sind äußerst sorgfältig und werden in unserer Notensatz-Übertragung, angefertigt von Ulrich Nehls (Erlangen), eins zu eins umgesetzt. Lediglich bei den bisweilen übertrieben reichlich gesetzten Warnakzidenzien haben wir uns nicht immer an das Manuskript gehalten.
Zum Titel Herzogenberg knüpft daran an, dreht aber den Spieß herum: eine „Fantasia quasi Sonata“ sei dies. Er will hier nicht eine Klaviersonate vorlegen mit dem damit traditionell verbundenen Anspruch, sondern eine Fantasie, deren Formgebung frei gehandhabt sein darf und also auch keinem strengen Vergleich standhalten muss. Aber mit „quasi Sonata“ deutet er doch an, dass charakteristische Elemente der Sonatenform vorliegen und es eigentlich, „gleichsam“ - „quasi“ doch eine Sonate ist. Das virtuose Hantieren mit hintersinnigen Anspielungen war ein allgemeiner Wesenszug Herzogenbergs. Man kann das auch den erhaltenen Briefen entnehmen und ist bei der Lektüre fasziniert davon. Andererseits: wer oft „quasi“ sagt, entzieht sich der Festlegung. Herr von Herzogenberg ist einfach schwer zu fassen und passt so auch schlecht in die Rezeptionsmuster der Fachwissenschaft oder auch des Konzertbetriebs. (Dass es von Franz Liszt auch ein Werk mit genau diesem Titel gibt, von Dante-Lektüre angeregt, 1858 veröffentlicht in den Années de Pèlerinage, sei nicht verschwiegen. Es handelt sich da aber um ein einsätziges Opus – mit zwei Grundthemen wie in einer Sonate. Wir haben keine Hinweise darauf, dass sich Herzogenberg irgendwann näher mit Liszt befasst hat.)
Analyse des Werks Die ersten acht Takte des ersten Satzes sind eine ziemlich chromatisierte Angelegenheit, der „agitato“-Charakter wird erzeugt durch die rhythmischen Verschiebungen zwischen rechter und linker Hand. Aufregung, innere Zerfahrenheit ist sozusagen der Ausdruck der Musik. Das Gegenthema (ab T. 28/29) ist dezidiert polar. Statt d-Moll die terzverwandte Dur-Tonart B-Dur, mit der Tempomodifikation „piu tranquillo“ eben nicht mehr „agitato“, die Oberstimmenführung ohne jede Chromatik und mit Terz- und Sextparallelen purer Wohlklang. Der Satz wechselt so zwischen der Sphäre der inneren Zerrissenheit, die in großen Entwicklungen und Steigerungen die Oberhand behält, und dem beschaulichen Gegenentwurf, der beim zweiten Mal (ab T. 120/121) in D-Dur gespielt wird. Dieses ruhige Gegenbild könnte man mit dem Blick auf den Bodensee aus Herzogenbergs Haus Abendroth assoziieren. Der Gesamtcharakter des Satzes bleibt aber tragisch, d-Moll, agitato. Beim Schlusssatz haben wir ein ähnliches Gegenüber von zwei Sphären. Das tragische Thema beginnt im eindrücklichen Unisono und klingt in seiner Rhythmik ziemlich wie Brahms. Das Gegenthema (ab T. 39), wiederum mit „tranquillo“ im Tempo modifiziert, steht jetzt sozusagen schulmäßig in F-Dur und hat hymnische Züge. Wieder haben wir schönstes, durch Sextparallelen unterstütztes Dur. Dieser 3. Satz gleicht formal noch stärker dem Sonatenhauptsatz durch Wiederholung der Exposition und durch eine spezifische Durchführung nach der Wiederholung. In Beethovens Op. 27, Nr. 1 ist es ähnlich. Auch in diesem Satz Herzogenbergs bleibt das Ende mit der „sostenuto assai“ vorzutragenden Coda sozusagen tragisch trotz einer vorausgehenden zweiten hymnischen Verklärung wiederum in D-Dur. (Hier wäre T. 131/132 die Verlegung der linken Hand um eine Oktave nach unten zu erwägen, sodass der tiefste Ton des Klaviers erreicht wird.) Der Mittelsatz kann insgesamt als idyllischer Gegenpol gedeutet werden. Allegretto, aber sostenuto, gehalten, die gute Ordnung stabilisierend. Speziell ist allerdings der Rhythmus. Am Anfang wechseln Dreier- und Zweier-Takt. Das ist gewissermaßen alpenländisch – ein sogenannter Zwiefacher. Der in Berlin lebende Österreicher (und sommerliche Wahlschweizer) Herzogenberg macht hier augenzwinkernd eine Anleihe bei der alpenländischen Volksmusik – Idylle ist da die Konnotation. (Vielleicht hat er als preußischer Professor deswegen sich nicht getraut, dieses Stück zu publizieren.) Der ganze Satz bleibt idyllisch, erkennbar auch an den durchgehenden Terzgriffen im Mittelteil. Dieser bewegt sich harmonisch aber in polaren Gegenwelten bietet dem Spieler einiges an Leseschwierigkeiten. Die linke Hand springt hin und her zwischen Vogelrufen oder auch Bergspitzenmarkierungen über der rechten und ihrer eigentlichen Bassfunktion.
Zur stilistischen Bewertung Diese Modernität bei Heinrich von Herzogenberg, der sich selbst durchaus als Säule in einem „classischen Tempel“ sieht, lässt sich an einigen Beispielen konkretisieren: - Nicht nur die bereits in der Thematik angelegte Chromatik und harmonische Uneindeutigkeit beim ersten Satz, sondern auch deren Verbindung mit subtiler Dynamik ist modern. Die ständigen schnellen Crescendi und Decrescendi, die Organisten bei Max Reger zur Weißglut bringen können, weil man das auf der Orgel gar nicht machen kann, hier gibt es das auch, aber eben bei Klaviermusik, wo es zum spezifischen Ausdrucksspektrum des Instruments gehört. Dazu kommt das Phänomen, dass mehrfach im Satzverlauf das Tempo modifiziert wird, Decrescendi durch Ritardando unterstrichen werden. - Ein Beispiel zur Harmonik; Das Werk ist für den Spieler schwer zu lesen, weil die harmonischen Wege so verschlungen und kühn sind, dass man es manchmal nur schwer nachvollziehen kann, z.B. die Durchführung im dritten Satz. Eigentlich sind wir ja in d-Moll, aber die Durchführung beginnt in b-Moll. Die schlichten, reinen Akkorde am Ende des Themas werden wie pizzicato-Akkorde von Streichern weitergeführt und bei äußerer, klanglicher Unschuld gleichwohl mit atemberaubender Geschwindigkeit durch den Quintenzirkel gejagt. - Ein ähnliches Phänomen haben wir am Schluss des dritten Satzes vor der Coda. Dieselben unschuldigen pizzicato-Akkordtupfer beginnen bei D-Dur und landen schließlich in gis-Moll, wovon es mit wenigen Tonmodifikationen zur Tonika d-Moll zurückgeht. Wir haben am Ende also eine Kadenz mit expliziter Tritonus-Polarität: gis-Moll – d-Moll. Das sind Dinge, wie sie dann die Komponisten des 20. Jahrhunderts, etwa Olivier Messiaen oder der Schweizer Frank Martin als Grundstruktur in ihre Tonsprache integriert haben. Konrad Klek
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