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Heinrich von Herzogenbergs Credovertonung in seiner Messe op. 87
e-moll (1894)
Bei Heinrich von Herzogenberg begegnen wir einer ökumenischen
Frömmigkeit. Herzogenberg galt trotz seiner über 150 Werke, die alle
bedeutenden Gattungen umfassen, bis in die jüngste Vergangenheit hinein
als Epigone Brahms und wurde daher immer nur am Rande wahrgenommen. Erst
in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts setzte sich langsam eine andere
Sichtweise durch, sowohl was die vermehrte Aufführungspraxis als auch
was die Musikwissenschaft anbetrifft. Der glückliche Umstand, daß in
einem Nachlassarchiv zwischen 1994 und 1996 mehrere oratorische Werke
Herzogenbergs wiedergefunden wurden, die als Kriegsverluste galten, kam
auch seiner Messe op. 87 zugute, die 1997 wiederaufgeführt werden
konnte, nachdem sie aus Anlaß des 100. Geburtstags des Komponisten
zuletzt 1943 zu hören gewesen war. Diese Messvertonung muss als eine der
kompositorisch spannendsten aus dem 19. Jahrhundert gelten.
Der 1843 in Graz geborene katholische Heinrich von Herzogenberg lernte
1871 in Leipzig den protestantischen Bachforscher Philipp Spitta
(1841-1894) kennen, woraus sich eine lebenslange Freundschaft
entwickelte, die ihren Grund in einer intensiven Beschäftigung mit Bach
und einer kontinuierlichen Pflege Bachscher Musik hatte. Als sich 1875
auch noch die Freundschaft mit Brahms anbahnte, änderte sich der
kompositorische Stil des vormals Wagner-begeisterten Herzogenberg hin
zur Anlehnung an klassische Muster und Traditionen. Im Gefolge dieser
Entwicklungen engagierte sich Herzogenberg so stark wie kein anderer
Katholik für die liturgischen und kirchenmusikalischen
Reformbestrebungen in der evangelischen Kirche. Als nach dem Tod seiner
Frau 1892 auch noch der Freund und Seelenverwandte Philipp Spitta 1894
starb, geriet er in eine große Lebens- und Schaffenskrise, wie ein Brief
an Philipps Bruder, den Straßburger Theologen Friedrich Spitta, zeigt,
mit dem er mehrere Gemeinschaftsprojekte gestaltet hatte:
"Alle meine Gedanken alles was meine innere Entwicklung reifte war unser
Gemeingut; ich kann mir diese Jahre ohne ihn gar nicht vorstellen - und
nun soll ich's lernen, ohne ihn auszukommen! Ein Ekel vor dem Leben und
Weiterschaffen ergreift mich."
Die Messe op. 87 ist nun das Werk, mit dem sich Herzogenberg aus dieser
Krise herauskomponiert. Deren Zentrum und kompositorischer Höhepunkt
stellt das Credo dar, welches in seiner kompositorischen Anlage und
hohen kontrapunktischen Raffinesse einzigartig ist im ausgehenden 19.
Jahrhundert. Bach, Beethoven und Brahms kommen hier in einer kongenialen
Weise zusammen.
Das Credo ist motivisch durchzogen von jenem mittelalterlichen
gregorianischen Gesang, der schon in Bachs Credo eine so große Rolle
spielte. Und ebenso wie bei Bach beginnt das Credo im Chor mit dem
Sopran ohne andere Instrumente, worauf dann das Orchester angestoßen
wird: creatio ex nihilo, die sich auch im Übergang von et sepultus est
zu et resurrexit zeigt. In keiner Messe vorher wurde das sepultus als
solch absoluter Tiefpunkt in Töne gesetzt wie hier bei Herzogenberg.
Hier spiegeln sich eigene Beerdigungserfahrungen sowie die Erfahrung,
dass aus solchem Tiefpunkt, aus solchem Nichts Neues entstehen kann: creatio ex nihilo
als kompositorische Überlebensstrategie.
Das Credo ist musikalisch nach den 3 Artikeln geordnet: Alle beginnen
sie mit derselben Credo-Figur, die das creatio ex nihilo erklingen läßt.
Interessanterweise wird das liturgische Credo nicht gesungen, sondern
taucht mehrfach meist in den Blechbläsern auf. Es ist instrumentelles
Zitat, welches gleichwohl das kompositorische Gerüst bzw. Skelett des
Credo ausmacht. In jedem Artikel taucht es dreimal auf, so daß alle
Artikel trinitarisch gedeutet werden.
Im 2. Artikel gibt es wiederum eine Dreiteilung: Nach der sanften
Wiederholung des Credo-Einsatzes, bei dessen Höhepunkt der Chor einmal
das liturgische Credo singt, setzt der 2. Teil schon vor dem Et incarnatus
ein, nämlich mit dem Qui propter nos homines. Hier setzen die
Solisten ein, die den 2. Teil des 2. Artikels beherrschen bis zum
sepultus est. So betont Herzogenberg zunächst den soteriologischen
Aspekt des 2. Artikels, der eben allein wegen uns Menschen geschehen
ist. Daher setzt allein beim etiam pro nobis des Crucifixus einmal kurz
der Chor ein, um zu zeigen, dass es tatsächlich um uns geht und nicht
allein um ein Drama, was dort unsere Ohren passiert. Das descendit, wo
Herzogenberg im Wort jeweils einen großen Melodiesprung komponiert, die
dann von oben herunterfließt, umfasst Himmel und Erde. Die Menschwerdung
gestaltet er als Inspiration, wenn er die 1. Silbe des homo in einem
mehrere Takte dauernden Ton erklingen lässt, der sich vom Anhauchen bis
zum vollen Ton langsam entwickelt. Im Hebräischen (ruach), im
Griechischen (pneuma) und im Lateinischen (spiritus) bedeutet Geist
immer zugleich auch Hauch, Wind. So wird bei Herzogenberg nicht nur
Inkarnation (Fleischwerdung), sondern auch Inspiration (Geistverleihung
als Einhauchen) sinnenfällig für die Ohren. Die zweite
Schöpfungsgeschichte, in der der Mensch erst durch die Einhauchung
Gottes Mensch, d.h. geistreich wird (Gen 2,7), steht hier Pate.
Den 3. Artikel gestaltet Herzogenberg in 2 Teilen. Dabei singt der Chor
die Zeile et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam einstimmig, wobei das liturgische Credo im Hintergrund langgestreckt
ertönt, und diesmal nicht wie bisher von den Blechbläsern, sondern von
den Holzbläsern intoniert wird - inniger kann der Wunsch nach
ökumenischer Verbundenheit gerade an diesem Punkt musikalisch kaum
gestaltet werden. Dazu passt, daß der 2. Teil, eine Doppelfuge zu Et exspecto ...
Amen, nicht in pompöser Gewißheit oder in himmlischem
Strahlen mit Pauken und Trompeten daherkommt, wie bei fast allen anderen
Meßvertonungen, sondern in einem vierminütigen Pianissimo erklingt,
welches die eschatologische Erwartung zu einem schwebenden Verfahren
macht, in dem die zarte Ahnung und das leise Staunen den Ton angeben.
Prof. Dr. Harald Schroeter-Wittke, Universität Paderborn
In dieselbe Zeit gehören auch die interessanten Messen von dem
Liechtensteiner Komponisten Joseph Rheinberger (1839-1901), der in
München gewirkt hat, und von dem tschechischen Komponisten Antonín
Dvorák (1841-1904), welche ich hier aus Platzgründen nicht weiter
behandeln kann.
Vgl. z.B. Bernd Wiechert: Heinrich von Herzogenberg. Studien zu Leben
und Werk, Göttingen 1997.
Seine Bachbiographie hat wissenschaftliche Maßstäbe gesetzt; vgl.
Philipp Spitta: Johann Sebastian Bach. 2 Bände, Leipzig 1873, 1880.
Vgl. dazu Gustav A. Krieg: Die gottesdienstliche Musik als theologisches
Problem. Dargestellt an der kirchenmusikalischen Erneuerung nach dem
ersten Weltkrieg, Göttingen 1990; sowie Konrad Klek: Erlebnis
Gottesdienst. Die liturgischen Reformbestrebungen um die
Jahrhundertwende unter Führung von Friedrich Spitta und Julius Smend,
Göttingen 1996.
Zit. nach Bernd Wiechert im Booklet der CD: Heinrich von Herzogenberg:
Missa op. 87, cpo 1997, 5.
Auch danach rissen die persönlichen Schicksalsschläge für Herzogenberg
nicht ab: 1897 starb der zweite Seelenverwandte: Brahms. Eine chronische
Gelenkerkrankung nötigte ihn zur Aufgabe aller Tätigkeiten, darunter
auch die Professur für Komposition in Berlin, die er seit 1885
innehatte, und fesselte ihn schließlich an den Rollstuhl. Sozial
isoliert starb Herzogenberg 1900 in Wiesbaden.
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