Dieser Artikel ist erschienen in der Zeitschrift
«Musica sacra» 5/2007, Seiten 316-318.
Matthias Beckert
HEINRICH VON HERZOGENBERG
«DIE GEBURT CHRISTI» OP. 90
Die Weihnachtsprogramme der meisten Chöre beschränken sich auf einige wenige Stücke, wie Bachs Weihnachtsoratorium, dem Weihnachtsteil aus Händels Messias und mittlerweile auch dem Oratorio de Noël von Saint-Saëns.
Das romantische Oratorium Die Geburt Christi op. 90 von Heinrich von Herzogenberg ist von Laienchören mit einem kleinen Orchester aufführbar und könnte sich zu einem beliebten Weihnachtsstück entwickeln. Es greift bekannte Weihnachtslieder auf und hat die für Sänger und Zuhörer angenehme Aufführungsdauer von einer Stunde und 20 Minuten. Für die Aufführung benötigt man lediglich ein Streicherensemble, eine Oboe, ein Harmonium, eine grosse Kirchenorgel, einen Chor, Kinderchor und Vokalsolisten. Sollten diese Voraussetzungen nicht gegeben sein, bietet Herzogenberg auch alternative Besetzungsmöglichkeiten an; sogar «eine Aufführung ohne Orchesterinstrumente ist statthaft [...] zu diesem Zwecke ist in dem Clavierauszuge, der gleichzeitig dem Harmoniumspieler zu dienen hat, an vielen Orten eine zweite Harmoniestimme hinzugefügt worden, die die wesentlichen Züge des Orchesters enthält.»
Streicherbesetzung
Hierzu erläutert Herzogenberg im Vorwort der Partitur: «Saiteninstrumente sind entweder nur einfach zu besetzen oder nach Mittel der Gemeinde und Grösse des Chores zu verstärken». Der Komponist schreibt am 21. Oktober 1895 an den Leipziger Kantor Richter: «Das Orchester zum Oratorium braucht nicht stark zu sein, sondern bloss genügend. Gegen 70 Sänger würde ich I Violinen 2mal, II Violinen 2mal, Bratschen 2mal, Vcl. und Cb. je einmal für genügend erachten, vorausgesetzt, dass nur wackere Spieler verwendet werden.» Aufgrund der Klangmischung empfiehlt es sich dennoch, mit mindestens drei Geigen zu spielen; bei einem grossen Chor könnte man sich mit der Besetzung 4/4/3/2/1 sogar einem typischen romantischen Streicherklang annähern. Bei zwei Cellisten ergibt sich dabei der Vorteil, dass im Duett Nr. 18 (Maria und Josef) das Solocello (in der Partitur auch extra so genannt) als neue Farbe auftritt und Akkorde wie in Nr. 18 «divisi» gespielt werden können. Vor dem Dritten Teil bietet sich eine Stimmpause an; im Anschluss empfiehlt es sich klanglich, die Hirtenmusik Nr. 23
auf Leersaiten zu spielen.
Harmonium
Auf dem Titelbild der Originalausgabe steht: «... mit Begleitung von Harmonium, Streichinstrumenten und Orgel». Im Vorwort der Partitur schreibt Herzogenberg weiter «zur Begleitung ... ist das Harmonium gewählt worden; es kann aber auch ein Orgel- Positiv zur Verwendung kommen». Auf eine Truhenorgel sollte man allerdings nur im Notfall zurückgreifen, da das Harmonium eine besondere Klangverschmelzung mit den Streichern und spannende Registriermöglichkeiten bietet: Die «vox coelestis» erscheint dabei auf vielen Instrumenten als Farbe für den Engel oder für Maria. Ein weiterer Klangeffekt des Harmoniums ist das An- und Abschwellen der Töne. Sehr reizvoll ist beispielsweise das Ausklingen des Schlussakkords, wie in Nr. 13 «und der Engel schied von ihr» oder an den Phrasenenden im Zwischenspiel Nr. 17. Um bei den Rezitativen einen guten Kontakt zu gewährleisten, sollte das Harmonium in der Nähe der Solisten aufgestellt werden.
Wichtigster Faktor bei der Organisation des Harmoniums ist die Stimmhöhe des Instruments, die unveränderbar und auch unabhängig von der Umgebungstemperatur ist. Um das Zusammenspiel mit der Oboe zu ermöglichen, sollte bei einer Aufführung mit modernen Orchesterinstrumenten eine Stimmhöhe von A = 442 Hz angestrebt werden.
Kirchenorgel
Sie eröffnet und beschliesst das Werk mit einem Vorspiel, das thematisch die Melodie
«Vom Himmel hoch» verarbeitet; dazwischen begleitet sie die Gemeindechoräle. Als Übergang zu den Chorälen schreibt Herzogenberg in die Partitur jeweils nur einen Akkord; ob an diesen Stellen Vorspiele improvisiert wurden, lässt sich heute nicht mehr feststellen.
Der Zweite Teil des Oratoriums endet mit einem Nachspiel der Orgel (Nr. 22) die kadenzierend in das Orchester (Nr. 21) einfällt. Daher ist auch hier die Stimmung zu beachten: auch die Gemeindeorgel sollte, wenn möglich, auf ca. 442 Hz stehen.
Oboe
Die Oboe tritt erst im dritten Teil hinzu, wo, wie Friedrich Spitta schreibt «Hirten und Kinder zur Krippe eilen und dem Kindlein vormusizieren (...) Wieviel Freude und Behagen hat diese einzige Oboe schon verbreitet bei den Zuhörern und vor allem bei den mitsingenden Kindern, denen sich der Oboist als getreuer Ekkart zugesellt und sie schliesslich durch die Fluten des Schluss-Doppelchores sicher hindurchgeleitet». In der gedruckten Oboenstimme finden sich auch die Gemeindechoräle abgedruckt. Diese sollten bei der Aufführung aber nicht mitgespielt werden, da Herzogenberg das in der Partitur nicht angegeben hat. Die Oboenstimme ist so leicht, dass die Anwesenheit dieses Musikers erst in der Probenendphase erforderlich ist.
Solisten
Das Werk ist für sechs Solisten konzipiert: vier Propheten (TTBB) und (SA) in den Rollen von Maria und dem Engel. Herzogenberg erlaubt bei geringen Mitteln auch, zwei Solisten einzusparen: «Machen Sie bitte ganz was Sie wollen; dem Werk schadet es nicht, wenn ein Bassist beide Soli singt, obgleich das nacheinander Auftreten der vier Propheten sich recht gut macht.» Bei einer Aufführung mit nur vier Solisten müssen die Männersolistenquartette dann allerdings von Chorsängern übernommen werden.
Das Stück gewinnt im Konzert enorm, wenn man in den drei Teilen des Werkes die Spannung hält und keine Pause zwischen den einzelnen Stücken lässt. Der Auf- und Abtritt der sechs Solisten sollte daher genau abgesprochen werden: Zu Beginn des Werkes stehen die vier Männersolisten bereits während des Gemeindechorals (Nr. 1) auf, damit Nr. 2 übergangslos einsetzen kann. In Nr. 2 können sich TTB während des Forte-Taktes 58 («dass ich lebe») unbemerkt setzen. Bass 2 singt nun in Nr. 3 die ersten Prophetenworte. Alle Propheten bleiben nach ihrem jeweiligen Solo stehen, bis sie zusammen in Nr. 6 das Prophetenquartett singen. Der jeweils aktive Solist reiht sich immer in die Mitte zum Dirigenten ein.
Der zweite Teil beginnt nach einer kurzen Pause. Bereits in den Schlusstakten des Chores Nr. 12 («Sei gesegnet») stehen der Evangelist und SATB gemeinsam auf, da das Ende von Nr. 13 «Und der Engel schied von ihr» unglaublich spannungsvoll ist und ohne Störung direkt in die Nr. 14 «Erklinge Lied und werde Schall» führt.
Vor dem Rezitativ 15 «Es begab sich aber zu der Zeit» gibt es wieder die Möglichkeit, kurz zu entspannen, bevor die neue Szene eröffnet wird.
Auch in Nr. 26 Takt 69 erheben sich die Solisten zusammen und ermöglichen so
ein ungestörtes Weitermusizieren der folgenden Nummern. In Nachspiel von Nr. 28
Takt 74 treten die Solisten wieder ab.
Das doppelchörige Schlussstück ist der Glanzpunkt des Werks. Wenn der Chor dabei an seine Grenzen gerät, könnte man den ersten Chor von den Solisten verstärken oder solistisch singen lassen.
Konzertaufbau
Für den Konzertaufbau verlangt Herzogenberg im Vorwort der Partitur, dass «der Chor im Angesichte, nicht im Rücken, der Gemeinde aufgestellt wird.» In einem Brief liest man: «Dass Sie vor dem Altar Aufstellung nehmen freut mich ganz besonders; Sie sollen mal sehen, was dann der Orgeleintritt am Ende des 2ten Theiles für eine Wirkung macht. Der ganze Raum musiziert, was vordem noch nicht da gewesen ist.» Die Oboe gesellt sich zum Kinderchor.
Aufführungsmaterial
Das komplette Aufführungsmaterial ist beim Stuttgarter Carus-Verlag (CV 40.196) erhältlich. Die Partitur ist ein Reprint des Erstdrucks. Mittlerweile erschien auch eine Studienpartitur. Für den Chor gibt es sowohl Klavierauszüge als auch Chorpartituren. Das Stimmmaterial ist neu gesetzt. Allerdings haben sich in dieser Ausgabe einige Fehler eingeschlichen, von denen hier die wichtigsten aufgelistet werden.
Nummer |
Takt |
Instrument |
Pa / St / Ka |
Korrektur |
5 |
1 |
Tenorsolo |
Pa / Ka |
Pa «spricht / Ka «sprach» |
14 |
7 |
VlII |
St |
Ton «dis» |
14 |
65 |
Vla |
St |
# fehlt «his» |
14 |
89 |
VlI |
Pa+St |
Ton «fis» nicht Ton «gis» |
16 |
37 |
VlII |
St |
# fehlt «fis» |
17/18 |
0 |
VcI |
St |
Bezeichnung «Cello solo» fehlt |
18 |
39 |
Cello |
St |
Ton «cis» |
21 |
3 |
VcI |
St |
Ton «a» |
21 |
8 |
Chorbass |
Pa+St |
Rhythmus wie KB? |
25 |
29 |
Harmonium |
St |
Ton «a» |
28 |
3 |
VcI |
St |
Ton «h» |
28 |
74 |
Harmonium |
St |
Akkord C9-8 |
33 |
19 |
Bass 1 |
Pa+KA |
Grundton «cis» erscheint sinnvoller als |
|
|
|
|
Septime «h» |
Choräle
Wie intensiv Heinrich von Herzogenbergs Denken auf das Einbringen seiner Musik in den Gottesdienst gerichtet war, lässt sich aus vielen eigenen Aufsätzen und solchen seines Freundes Spitta ablesen. Auch die grösseren, zyklischen Werke sollten nicht reine Konzertmusik sein: Der gemeinsam gesungene Choral war als Brücke zwischen Aufführenden und Hörern, Künstlern und Gemeinde gedacht. Im Sinne Herzogenbergs wäre es daher, wenn im Konzert alle, d. h. Gemeinde, Chor, Kinderchor, Dirigent und auch die Orchestermusiker, bei den Chorälen mitsingen. Allerdings weichen die Melodien der Choräle aus Herzogenbergs Zeit teilweise von den heute gebräuchlichen Melodieformen ab. Um diese Gemeindelieder dennoch in der originalen Gestalt und Harmonisation singen zu können, empfiehlt es sich, die Choräle mit Noten im Programmheft abzudrucken und auch dem Orchestermaterial beizulegen.
Die Lage einiger Choräle ist zwar sehr hoch, im Konzert aber dennoch realisierbar. Die Gemeinde sollte zum Konzertbeginn zum Mitsingen der Choräle eingeladen werden. Ein Einüben der Choräle mit den Konzertbesuchern vor dem Konzert ist denkbar, aber nicht nötig.
Herzogenberg war ein Verehrer von Bach und Brahms. Dies ist in seinem Werk spürbar: Der Doppelchor am Ende mit Überhöhung des Knabenchorals erinnert an Bachs Matthäus-Passion, Vorbild für seine Fugenstrukturen mit Cantus-firmus-Choral finden sich u. a. in Brahms Motette O Heiland reiss die Himmel auf op. 74 Nr. 2. Diesen Choral zitiert Herzogenberg im Streichorchester in Nr. 2. In Nr. 3 erscheint derselbe Choral augmentiert im Chorsopran, in Nr. 4 im Alt, in Nr. 5 im Tenor. Auch die kommenden Chorstücke im Werk sind Choralbearbeitungen, dies gilt es bei der Chorarbeit herauszuarbeiten. Der Choral Nr. 10, «Jesus ist ein süsser Nam», ist im Stile Bachs mit vielen Vorhalten bestückt, die mit Spannungscrescendos hervorgehoben werden können.
Die Töne des bekanntesten Chorals, «Es ist ein Ros entsprungen», zitiert Herzogenberg bereits in der Stimme des Solotenors in Nr. 15, T. 34, «und die war schwanger ». An vielen Stellen finden sich auch im Orchestersatz Choralzitate, die nach der Sprachmelodie dynamisiert werden sollten. Herzogenbergs Oratorium erfreute sich bereits kurz nach seiner Entstehung grosser Beliebtheit, da es nach den Worten Spittas «in einzigartiger Weise die dem Volk lieb gewordene Fülle der Weihnachtslieder zusammengefasst und in ebenso geistreich künstlerischer wie volkstümlicher Weise bearbeitet hat.» Es bleibt zu hoffen, dass die Qualitäten dieses Werkes wieder entdeckt werden.
Das Notenbeispiel zeigt, wie Herzogenberg die Choralmelodie erst
im Tenor, dann in der ersten Violine verarbeitet.
ZUM AUTOR
Matthias Beckert (geb. 1976) studierte Schulmusik, Orchesterleitung, Kirchenmusik bei Gerhard Weinberger und Chorleitung in der Meisterklasse von Jörg Straube. Seit 2001 ist er Dozent für Chorleitung an der Hochschule für Musik in Würzburg. Im Juli 2007 wurde er zum Leiter der Suhler Singakademie und des Suhler Knabenchores berufen. Mit dem Ökumenischen Hochschulchor (www.hochschulchor.de), den Beckert seit 1998 leitet, erarbeitete er ein breites Konzertrepertoire der wichtigsten Oratorienwerke von der Renaissance bis zur Moderne. Vielbeachtet sind seine Konzerte auf historischem Instrumentarium. Daneben konzertiert Matthias Beckert international mit dem Vokalensemble Cantabile Regensburg (www.cantabile-regensburg.de). Zahlreiche Rundfunk und CD-Aufnahmen dokumentieren seine Arbeit.
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