Herzogenberg und Heiden  

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Das Haus "Abendroth"

Herzogenberg entdeckte Heiden, damals berühmter Kurort und Treffpunkt der Weltprominenz, im Jahre 1891. Weil das Klima seiner herzkranken Frau gut zu tun schien, begann er im Herbst mit dem Bau des Hauses «Abendroth» als Sommerresidenz und Alterssitz für sich und Elisabeth. Der unerwartete Tod seiner Frau - sie starb kurz vor dem Einzug 1892 mit 44 Jahren an Herzversagen - durchkreuzte diese Pläne. Zum ersten Todestag schrieb er das ergreifende deutsche Requiem "Todtenfeier" für Soli, Chor und Orchester op. 80. Der Verlust seiner auch von Johannes Brahms verehrten Frau Elisabeth prägten das Schaffen der Neunzigerjahre, und es war eine verstärkte Hinwendung zu kirchenmusikalischen Werken zu verzeichnen.

In den Sommermonaten 1892 bis 1899 weilte der Komponist regelmässig in der Villa "Abendroth". Hier entstanden die grossen Spätwerke, so das zweistündige Oratorium "Die Erntefeier" op. 104, die Kantate über den Choral "Gott ist gegenwärtig" op. 106, die Liturgischen Gesänge op. 81 und das Weihnachtsoratorium "Die Geburt Christi" op. 90.
 
Viel Prominenz ging ein und aus, darunter die Musikforscher und Theologen Philipp und Friedrich Spitta, der berühmte Geiger Joseph Joachim, der Musiker und Liederforscher Dr. h.c. Alfred Tobler, der Dramatiker Ernst von Wildenbruch.
 
Ein Jahr nach Herzogenbergs Tod besuchte der Dichter Ernst von Wildenbruch (1845-1909), Enkel des Prinzen Ferdinand von Preussen, vielgespielter Dramatiker der Wilhelminischen Zeit, das verlassene "Abendroth". Ein Auszug aus seiner Reise-Novelle "Das tote Haus am Bodensee" widerspiegelt die tiefe Emotion, die er beim Durchschreiten des verschlossenen Hauses empfand:
 

 

 

"Das tote Haus am Bodensee"

Auszug aus der Reiseerinnerung von Ernst von Wildenbruch
 (Vollständiger Text: hier abrufbar)
 

 

... Von einem Gastwirt im Orte Heiden habe ich mir die Schlüssel geben lassen, und ich bin hingegangen. Das stumme, blinde Haus mit den holzverschlagenen Fenstern, dem verwilderten Garten, in dem ein einziges letztes Geräusch des Lebens sich regte, das leise Murmeln des immer rinnenden Brunnens, hat mir eindringlicher und wehmütiger gepredigt, als seinerzeit der schwarze Krepp an der Haustür, dass die Menschen, wenn sie abgeblüht haben, nicht wiederkehren, wie die Blumen es tun.
 

Das Haus, von dem ich spreche, steht über dem Bodensee auf Schweizer Seite, so dass man von seiner Schwelle hinunterblickt auf den Spiegel des Sees, das gegenüberliegende Gelände und das auf dem Wasser schwimmende Lindau, im Lande Appenzell. Da liegt ein freundlicher Ort, der heisst Heiden, und wenn man durch die Gassen dieses Ortes hinausgeht, bis dahin, wo die Strasse nach Rorschach hinunterbiegt, kommt man an ein einsames Haus, vor dem man stehen bleibt, weil es anders aussieht als die anderen Häuser. Denn seitdem in den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts das alte Heiden abgebrannt, ist ein neues entstanden, mit modernen, schweizerischen Häusern, die wohl sauber und heiter, für meine Empfindung aber ohne rechte Individualität sind, weil sie zu viel Fenster haben, einen internationalen, mehr oder weniger französelnden Charakter haben, wie denn auch das Brot, das man daselbst zu essen bekommt, an das für meinen deutschen Gaumen schreckliche, schwammige französische Weissbrod erinnert. Da draussen aber, am Rorschacher Wege, das einsame Haus, wenn man davor steht, fragt man sich, wer mag das hier erbaut, das hier bewohnt haben? ....
 

 

Aus helllichtem Tage eintretend, umfing uns rabenschwarze Nacht, so dass wir im Hausflur ein Streichholz anzünden und bei dessen Schein ein Petroleumlämpchen suchen mussten. Mit dieser dürftigen Leuchte versehen, wie Wanderer, die sich Katakomben entlang tasten, gingen wir alsdann von Zimmer zu Zimmer, durch beide Stockwerke des Hauses. Und nun, als wenn man in der Katakombe plötzlich und unvermutet in die Züge eines Gesichtes blickte, das uns lautlos aus dem Dunkel ansieht, beim Schein des Lämpchens aufblickend und wie aus dem Schlafe aufwachend, die vollständig erhaltene Ausstattung eines wohnlichst eingerichteten Hauses, Betten Tische, Schränke und Stühle, alles modernste Rüstzeug für moderne Bedürfnisse, elektrische Klingelleitung, Badestube und Badeapparat, alles so vorhanden, so zum Gebrauche fertig und einladend, dass man das Gefühl bekam, als träte man unter eine Schar von treuen Haustieren, die des heimkehrenden Gebieters warteten, dass man unwillkürlich behutsam auftrat und leise sprach, weil man sich als Fremder, beinahe als Eindringling empfand, der kein Recht hatte, das Geräusch des Lebens hervorzubringen, das nur der Hausherr hätte erwecken dürfen.

Eine Künstlerseele - so fühlt man - muss diese Stätte zum Wohnort erkoren, eine Künstlerhand dieses Haus ersonnen und ausgebaut haben. Und ein solcher Mensch ist es denn auch gewesen, der hier gehaust hat, ein Schmetterling aus dem Lande, wo die geheimnisvollen Blumen der Kunst blühen, der an diesem Erdenfleck sich niedergelassen und angesogen hat, um hier zu bleiben bis zu seinem letzten Tage: Heinrich von Herzogenberg...
 

Nachbemerkung: Am Äusseren des "Abendroths" hat sich in den vergangenen 100 Jahren kaum etwas verändert. Noch heute gibt sich das Haus fast über das ganze Jahr geheimnisvoll mit herabgelassenen Läden. Und auch im Inneren ist noch vieles wie es Wildenbruch beschreibt. Auch das Bett, zu dem er am Schluss bemerkt:

 

 

Die Bettstatt im Haus Abendroth Noch einmal, als wenn sie sich nicht losreissen könnten, kehrten meine Gedanken zu dem Hause zurück, dem Hause "zum Abendroth", wie der Erbauer es bezeichnender Weise getauft hatte, und da fiel mir ein, dass ich dort etwas gelesen hatte, einen Spruch, der am Kopfende einer hölzernen Bettstatt eingegraben gewesen war:

"Ob er das für sich selbst geschrieben hatte? Oder für die, welche mit ihm hatte wohnen sollen im "Abendroth"? Ob das Bett sein Bett war? Ob er darin geruht und geschlafen, manchmal vielleicht auf schlaflos gelegen hat? Ich weiss es nicht; aber mir war, als hätte ich einen Grabspruch gelesen."

Ernst von Wildenbruch


 

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